In der Menschenrechtsbeschwerde
Demjanjuk ./. Deutschland
Beschwerde-Nr. 24247/15
nehme ich Bezug auf das Urteil
der 5. Sektion des Gerichtshofes und beantrage im Namen und in Vollmacht der
Beschwerdeführer gegen das Urteil:
1. Die
Rechtssache Demjanjuk gegen Deutschland – Beschwerde-Nr. 24247/15 – wird an die
Große Kammer des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte verwiesen.
2. Unter
Aufhebung des Urteils der 5. Sektion des Europäischen Gerichtshofes wird der
Menschenrechtsbeschwerde stattgegeben und festgestellt, dass die Entscheidungen
des LG München vom 5.4.2012 sowie die des OLG München vom 4.10.2012 gegen Art.
6 Abs. 1 und Abs. 2 der Menschenrechtskonvention verstoßen.
3. Den
Beschwerdeführern wird eine angemessene Entschädigung in Geld gewährt.
B e g r ü n d u n g:
Die Rechtssache Demjanjuk gegen
Deutschland wirft sowohl schwerwiegende Fragen der Auslegung und Anwendung der
Konvention als auch eine schwerwiegende Frage von allgemeiner Bedeutung auf.
Im Einzelnen gilt Folgendes:
1. Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1
EMRK.
In der Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofes vom 24.1.2019 wird die Entscheidung des OLG München
vom 4.10.2012 diskutiert. Zutreffend stellt die 5. Sektion fest, dass das OLG
München die Beschwerde gegen die Entscheidung als unzulässig verworfen hat. Das OLG München behauptete, das Recht der
Beschwerdeführung im Strafprozess stünde höchstpersönlich nur dem Angeklagten
zu und gehe mit dem Tod des Angeklagten unter. Weder die Ehefrau noch die Kinder
noch der Verteidiger hätten irgendeine Rechtsposition, die es erlaube,
Beschwerde gegen den Beschluss des LG München zu erheben. Das OLG baute mit
seiner Entscheidung eine unüberwindbare Rechtswegsperre der Ehefrau, der
Kinder, der Erben und der Prozessbeteiligten auf, die unüberwindbar ist und zur
Unanfechtbarkeit der erstinstanzlichen Entscheidung führt.
Diese Rechtsauffassung des OLG,
nämlich eine absolute Rechtswegsperre aufzubauen, verstößt eindeutig gegen Art.
6 Abs. 1 der Konvention, weil die Garantie des Rechtsweges und damit die
Garantie des Zugangs zu den Gerichten in Art. 6 Abs. 1 als unverzichtbares
Fundamentalrecht der gesamten Menschenrechtskonvention geschützt wird. Wer, wie
das OLG München es tut, sehenden Auges und unter bewusstem Verstoß und unter
Inkaufnahme des Verstoßes gegen die ständige Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofes wider besseres Wissen über die wahre Rechtslage den Rechtsweg
versperrt, greift zentral und fundamental die Rechtsordnung der Bundesrepublik
Deutschland und der Europäischen Völkergemeinschaft an. Das OLG München kannte
die mit seiner Auffassung unvereinbare Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofes in vollem Umfang. Es kannte die Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofes für Menschenrechte in der Sache Nölkenbockhoff zu Art. 6 Abs. 1
EMRK. Gleichwohl, anstatt diese eindeutige und klare und unverrückbaren
Rechtslage, an die die Richter des OLG München strikt gebunden waren, zu
befolgen, lehnten sie sich gegen diese für die Rechtsordnung alles entscheidende
fundamentale Regelung auf und sperrten den Beschwerdeführern aus Gründen
außerhalb des Rechts jeden Zugang zu Gericht.
Angesichts der Schwere und
Vorsätzlichkeit des Verstoßes gegen Fundamentalvorschriften des Europäischen
und bundesdeutschen Rechtes kann es eine Rechtfertigung solcher Verstöße und
eine Hinnahme solcher Verstöße nur dann geben, wenn Art. 6 EMRK selbst
Ausnahmen vorsieht, die die Hinnahme der Rechtswegsperre vorsehen. In Art. 6
wird eine solche Ausnahme an keiner Stelle genannt. Angesichts der
Unverzichtbarkeit des Zugangs zu den Gerichten kann auch sonst keine Ausnahme,
die eine Rechtswegsperre im Rechtsstaat erlaubt, denkbar sein. Die durch Art.
19 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 EMRK normierte Rechtsweggarantie ist von
so überragender Bedeutung für jede Rechtsordnung, dass Ausnahmen hiervon
schlechterdings nicht denkbar sind.
Die 5. Sektion verstößt mit ihrem
Weg und ihrer Begründung auf Seite 6 und 7 der Entscheidung zentral gegen diese
Bedeutung und gegen dieses Verständnis von Art. 6 Abs. 1 EMRK. Sie stellt die
falsche Behauptung auf, dass das OLG die Beschwerde der Beschwerdeführer in der
Sache überprüft und ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 nicht festgestellt habe.
Das OLG habe die Beschwerde für unbegründet erklärt. Daraus folge, dass das
Recht auf Zugang zum Gericht nur in der Theorie, nicht aber in der Praxis
verletzt worden sei.
Diese Argumentation ist mit dem
Wortlaut und dem Tenor des Beschlusses des OLG München unvereinbar.
Die 5. Sektion des Europäischen
Gerichtshofes behauptet, die Entscheidung des OLG vom 4.10.2012 habe folgenden
Tenor:
It follows that the court of appeal
examined and dismissed the claim in substance.
Diese Behauptung der 5. Sektion
des Europäischen Gerichtshofes ist in jeder Hinsicht falsch. Für den Inhalt,
den Umfang und das Ausmaß der Entscheidung des OLG kommt es entscheidend auf
den Tenor des Beschlusses vom 4.10.2012 an. Es heißt im Beschluss des OLG
München ausdrücklich:
Die sofortige
Beschwerde des Rechtsanwaltes Dr. Ulrich Busch namens des früheren Angeklagten,
namens dessen Witwe Vera Demjanjuk und dessen Sohn John Demjanjuk jun. gegen
den Beschluss des LG München II vom 5.4.2012 wird als unzulässig verworfen.
Der Tenor der Entscheidung wächst
in Rechtskraft. Der Tenor der Entscheidung des OLG ist die zentral und
fundamental gegen die Europäische Rechtsordnung verstoßende Rechtswegsperre.
Der Tenor der Entscheidung des
OLG München enthält kein Wort über die Unbegründetheit der Beschwerde der Beschwerdeführer.
Richtig ist zwar, dass sich die
Entscheidung des OLG vom 4.10.2012 auch mit der Frage beschäftigt, ob die
Entscheidung des LG Art. 6 Abs. 2 EMRK verletzt. Hierüber verhält sich der
Beschluss des OLG beginnend ab Ziffer 3 seines Beschlusses auf Seite 5. Das OLG
beginnt seine Befassung mit Art. 6 Abs. 2 EMRK mit folgender Einleitung:
Ergänzend merkt der Senat an, dass die
Entscheidung des LG Art. 6 Abs. 2 EMRK nicht verletzt.
Damit stellt der Senat selbst
klar, dass er mit seinen Ausführungen ab Seite 5 Ziffer 3 eine Anmerkung macht,
nicht aber eine Entscheidung trifft. Es handelt sich eindeutig rechtlich
gesehen um ein obiter dictum, die Äußerung einer unverbindlichen Rechtsansicht,
die die Entscheidung und Entscheidungsgründe nicht trägt. Diese Rechtsansicht
kann ohne Weiteres hinweg gedacht werden, ohne dass die Entscheidung und die
Entscheidungsgründe, die für die Entscheidung maßgeblich waren, in Wegfall
geraten. Keinesfalls darf und durfte die 5. Sektion die Behauptung aufstellen,
es handele sich um eine juristisch bestandskräftige Entscheidung in der Sache.
Die 5. Sektion des Europäischen
Gerichtshofes verstößt somit mit ihrer Vorgehensweise gegen fundamentale
juristische Auslegungsprinzipien, die der Rechtsordnung und auch Art. 6 EMRK
zugrundeliegen. Ein obiter dictum unterliegt nicht den strengen Regeln einer
Entscheidungsfindung und wird aus einer völlig unverbindlichen, für die
Entscheidung hinweg denkbaren und nebenher bemerkten Rechtsansicht entwickelt.
Die 5. Sektion des Europäischen
Gerichtshofes konnte und durfte das obiter dictum des OLG zu Art. 6 Abs. 2 nicht
der Beurteilung des Vortrages über den Verstoß der Entscheidung des LG und des
OLG gegen Art. 6 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 EMRK zugrundelegen. Mit der
Entscheidung des OLG, den Beschwerdeführern der Rechtsweg unzulässig zu
versperren, hatten die Richter sich endgültig festgelegt und endgültig in
denkbar schwerster Weise gegen das Gesetz verstoßen. Sie wussten, dass ihre
gegenüber den Beschwerdeführern verhängte Rechtswegsperre fundamentalen
Menschenrechten zuwider lief. Ihre Anmerkung, das LG München habe mit seiner
Entscheidung vom 5.4.2012 nicht gegen Art. 6 Abs. 2 EMRK verstoßen, sollte den
Fundamentalverstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK nur kaschieren. Es ist völlig
ausgeschlossen, dass Richter, die gegen das Gesetz einem Antragsteller den
Rechtsweg versperren, anschließend die Auffassung vertreten, in der Sache hätten
die Beschwerdeführer allerdings Recht gehabt.
Die vom OLG geäußerte
Rechtsaufassung zu Art. 6 Abs. 2 war für die Richter die zwingende Folge aus
ihrem Rechtsverstoß der Versperrung des Rechtsweges und gleichzeitig die
einzige Möglichkeit der Kaschierung dieses Rechtsverstoßes.
Mit der Äußerung des obiter
dictum sollte die beschlossene Rechtswegsperre vertieft und endgültig gemacht
werden. Das obiter dictum ist somit nicht Rechtsprechung, sondern die Verhinderung
von Rechtsprechung. Dies verkennt die 5. Sektion des Europäischen Gerichtshofes
vollständig.
2. Verstoß gegen. Art. 6 Abs. 2.
a.) Mit seinen Ausführungen zu
Art. 6 Abs. 2 verstößt die 5. Sektion sowohl gegen das deutsche Recht als auch
gegen Wortlaut und Sinn des Art. 6 Abs. 2 EMRK und wirft somit eine
schwerwiegende Frage der Auslegung und Anwendung der Konvention auf. Soweit die
5. Sektion in ihrer Entscheidung die Grundsätze der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichtes – 2 BvR 1542/90 – zu übernehmen behauptet verstößt
die 5. Sektion sowohl gegen das deutsche Recht als auch gegen den Grundsatz des
Art. 6 Abs. 2 EMRK. Art. 6 Abs. 2 EMRK enthält eine unverzichtbare
Fundamentalgarantie, dass nämlich jedermann solange als unschuldig gilt, bis er
rechtskräftig verurteilt ist. Erst die Rechtskraft eines Urteils widerlegt die
Unschuldsvermutung, die bis dahin unwiderlegbar ist. Folglich muss sowohl nach
europäischem Recht als auch nach deutschem Recht zur Durchsetzung der
Unschuldsvermutung jede
Einstellungsentscheidung eines jeden Gerichtes im europäischen Rechtsraum
zumindest die unverzichtbare Klarstellung enthalten, dass der Angeklagte oder
der verstorbene Angeklagte weiterhin als unschuldig zu gelten hat bzw.
unschuldig ist. Dies ist unverzichtbarer Inhalt und unverzichtbare Folge der
Unschuldsvermutung. Es kann nicht angehen, dass diese Klarstellung durch
unglückliche Formulierungen verwässert oder sogar vernebelt wird. Die
Einstellungsentscheidung bei Auftreten eines unüberwindbaren
Verfahrenshindernisses kann in ihrem Wortlaut nicht einer Interpretation von
Richtergremien oder Richterzirkeln überlassen bleiben, sondern muss so gefasst
sein, dass das deutsche bzw. europäische Volk jederzeit und glasklar das
Fortbestehen der Unschuld des ehemals Angeklagten aus der Entscheidung
entnehmen kann und akzeptieren muss. Es ist nicht Aufgabe von Richtergremien,
sich untereinander zu verständigen, dass sie die Unschuldsvermutung beachten,
vielmehr ist es Aufgabe des Richters, dem Volk klar, eindeutig und
unzweifelhaft mitzuteilen, dass der Angeklagte weiterhin unschuldig ist. Das
Bekenntnis des Gerichtes zur Unschuld des Angeklagten vor Rechtskraft einer
Verurteilung gehört zu den absoluten und unverzichtbaren Essentials des
Rechtsstaates. Die angegriffene
Entscheidung des LG München enthält keinerlei Bekenntnis zur Unschuld des
verstorbenen Angeklagten. Das OLG München verliert mit keinem Wort etwas über
die Unschuld des verstorbenen Angeklagten. Beide Gerichte haben nichts anderes
im Sinn, als die fortbestehende Unschuld des Mandanten zu vernebeln und vor dem
Rechtspublikum zu verstecken, um nicht die objektive Sinnlosigkeit des gegen
den verstorbenen Angeklagten geführten Prozesses zugeben zu müssen. In diesem
Zusammenhang ist es richtig, zu wissen, was ein maßgeblicher Strafrechtler über
die Entscheidung der 5. Sektion denkt.
Es heißt in der Ausgabe Legal
Tribune Online vom 24.1.2019 um 19.53 Uhr:
Strafrechtler: Kein
Resümieren über Schuld nach dem Tod.
Prof. Dr.
Martin Heger, Lehrstuhlinhaber für Strafrecht an der Humboldt Universität zu
Berlin, sieht die EGMR Entscheidung skeptisch. Die Unschuldsvermutung des Art.
6 Abs. 2 EMRK verbietet es grundsätzlich, die Kosten auf die Seite der
Hinterbliebenen abzuwälzen, zumindest dann, wenn die Entscheidung nur an einen
Verdacht und nicht an eine Schuld des Angeklagten anknüpfen kann. Ein Gericht
dürfe nicht nach dem Tod des Angeklagten weiter über seine Schuld resümieren.
Anders läge es,
wenn zum Toddeszeitpunkt etwa nur noch
formale, technische Fragen der Revision offen wären. Konkret etwa, wenn der
Beschluss schon formuliert gewesen wäre, es aber nicht mehr zur Verkündung und
Übersendung am nächsten Tag komme, weil der Angeklagte in der Nacht verstirbt.
Aus Hegers Sicht könne das Problem auch nicht durch eine Art Prognose, die nach
dem Todesfall die Erfolgsaussichten der Revision abschätzt, gelöst werden:
„Sobald die Schuldfrage berührt ist, geht das nicht“, mein Heger. Eine Prognose
über den Ausgang der Revision hätte in dem konkreten Fall von Demjanjuk kaum
Ansatzpunkte gehabt, die Akten hatten den BGH noch nicht erreicht, als er
verstarb.
b.) Die 5. Sektion des
Europäischen Gerichtshofes beanstandet nicht, dass trotz Eingang der Revision
im November 2011 die Revision bis zum Todestag des Angeklagten noch nicht dem
Bundesgerichtshof und damit dem zuständigen Revisionsgericht zugeleitet wurde.
Die 5. Sektion erkennt die Verfahrensweise des LG München für zulässig und
macht die Verteidigung dafür verantwortlich, die noch mehrere Schriftsätze bis
kurz vor dem Tod des Angeklagten nachgereicht habe.
Es ist offensichtlich, dass bei
der Beurteilung dieser Frage die 5. Sektion das zwingende deutsche Recht beachten
musste und nicht eine eigene neue Strafprozessordnung für das LG München, wie
hier geschehen in Ziffer 39 der Entscheidung, entwerfen konnte. § 347 StPO
lautet eindeutig:
Ist die
Revision rechtzeitig eingelegt und sind die Revisionsanträge rechtzeitig und in
der vorgeschriebenen Form angebracht, so ist die Revisionsschrift dem Gegner des
Beschwerdeführers zuzustellen. Diesem steht frei, binnen einer Woche eine
schriftliche Gegenerklärung einzureichen. Der Angeklagte kann letztere auch zu
Protokoll der Geschäftsstelle abgeben. Nach Eingang der Gegenerklärung oder
nach Ablauf der Frist sendet die Staatsanwaltschaft die Akten an das
Revisionsgericht.
Danach war es zwingendes
deutsches Recht, dass die Revisionsbegründung spätestens im Dezember beim
Bundesgerichtshof vorlag. Es war der Verteidigung nicht verboten, weitere
Schriftsätze nachzuschieben, dies konnten 5, 10, 20 oder 100 sein. Die
Pflichten des § 347 StPO waren ausschließlich an den Eingang der
Revisionsanträge in der vorgeschriebenen Form gebunden. Nach einer Woche bzw.
nach Eingang der schriftlichen Gegenerklärung binnen einer Woche waren die
Revisionsanträge dem Revisionsgericht vorzulegen ohne Wenn und Aber und ohne
Rücksicht auf spätere Schriftsätze jedweder Art.
Indem die Revisionsanträge dem
Revisionsgericht nicht weitergeleitet wurden, sondern bis zum Todestag, somit
über mehrere Monate in München gehortet wurden, wurde dem Angeklagten der
Rechtsweg zum Revisionsgericht versperrt, ein weiterer Verstoß gegen Art. 6
EMRK.
c.) Soweit die 5. Sektion des
Europäischen Gerichtshofes die Entscheidung des LG München vom 12.4.2012
erörtert, durfte diese Entscheidung nicht nur an $ 467 Abs. 3 gemessen werden,
sondern vor allen Dingen an § 467 Abs. 1 StPO. In dieser Vorschrift heißt es:
Soweit der
Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn
abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen
der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der
Staatskasse zur Last.
Zwingend in der Entscheidung des
LG war somit, über sämtliche Auslagen, die mit dem Verfahren verbunden waren,
zu entscheiden. Diese Entscheidung musste Inhalt des Tenors der Entscheidung
des LG München vom 5.4.2012 sein. Das LG München musste nach § 467 Abs. 1
zwingend entscheiden:
„1. Das
Verfahren wird eingestellt. Die Auslagen des Verfahrens trägt die Staatskasse.
2. …
Das LG hat die zwingende
Entscheidung über die Auslagen des Verfahrens weggelassen und diese der
Staatskasse nicht aufgebürdet.
Die Motivation für dieses
Unterlassen ist offensichtlich. Das LG wollte unter allen Umständen vermeiden,
dass der Einstellungsbeschluss im Widerspruch zum vom Gericht im Jahre 2011
verhängten Schuldspruch mit Auferlegung der Kosten des Verfahrens auf den
Angeklagten stehen sollte. Gerade die Auslassung dieser zwingenden Entscheidung
nach § 467 Abs. 1 StPO sollte den Schuldspruch verstärken und bestätigen. Wäre
es nämlich zu einer Überbürdung der Auslagen auf die Staatskasse nach § 467
Abs. 1 im Beschluss gekommen, hätte die Öffentlichkeit, zumindest die
sachverständige Öffentlichkeit gesehen, dass die Einstellungsverfügung die
Unschuld des Angeklagten endgültig festschrieb und der Schuldspruch des Urteils aus 2011 keine
Bedeutung hatte.
Das wollte das LG unter allen
Umständen vermeiden. Ganz gleich steht es mit der vom BGH verlangten Pflicht
des LG, bei Untersuchungshaft auch über Entschädigung des Angeklagten für erlittene
Untersuchungshaft in einer solchen Einstellungsentscheidung zu entscheiden.
Auch dies musste in jedem Falle vermieden werden, weil man mit der Entscheidung
vom 5.4.2012 den Anschein einer rechtskräftigen Schuldfeststellung des
Angeklagten und eine Sinnhaftigkeit des Prozesses insgesamt bestärken wollte.
Allein die vom LG vorgenommenen
Auslassungen, Entscheidung über die kosten und der Entschädigung für erlittene
Untersuchungshaft, beweisen die Intention des LG unter Aushebelung der
Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 das Verfahren und den Schuldspruch des
Angeklagten zu rechtfertigen und rechtlich zu zementieren.
d.) Die deutschen
Rechtsgrundlagen für die Beurteilung der Entscheidung der 5. Sektion sind andere,
als sie noch zur Zeit der Entscheidung des Gerichtshofes in Sachen
Nölkenbockhoff gegen Deutschland, Beschwerde-Nr. 10300/83 waren. Im Gegensatz
zur damaligen Rechtslage sind zwingend eine formelle Einstellungsentscheidung
und eine Entscheidung über die Kosten des Verfahrens einschließlich der
notwendigen Auslagen sowie über eine Entschädigung für erlittene
Untersuchungshaft vorgeschrieben. Im Zeitpunkt der Entscheidung Nölkenbockhoff
gegen Deutschland wurde das Verfahren dagegen nur tatsächlich, nicht aber durch
formelle Entscheidung eingestellt. Wie bereits ausgeführt, beweist schon der an
sich gegen das Gesetz verstoßende unvollständige Beschluss des LG München den
Verstoß gegen die Unschuldsvermutung, indem es sowohl davon absieht, die Kosten
des Verfahrens der Staatskasse formell aufzulegen als auch darüber zu
entscheiden, ob und gegebenenfalls dass eine Entschädigung für den verstorbenen
Angeklagten für die zweijährige Untersuchungshaft in Frage kam. Diese
Auslassungen zeigen ganz deutlich, dass der formelle Beschluss entgegen dem
Gesetz verhindern wollte, dass der verstorbene Angeklagte weiterhin nach dem
Gesetz als unschuldig gelten musste und ihm dies auch entsprechend bestätigt
werden musste, indem darauf hingewiesen wurde, dass der Beschluss
ausschließlich von einem Verdacht gegen den Angeklagten ausgehen dürfe, weil
der Angeklagte die ihm zustehenden Rechte in der Revisionsinstanz nicht mehr
ausüben konnte. Auch für diese Fälle greift die Unschuldsvermutung in vollem
Umfange und in voller Geltung, ohne irgendeine Abschwächung zu erfahren.
In diesem Zusammenhang ist ferner
darauf hinzuweisen, dass die 5. Sektion mit ihrer Übernahme des obiter dictums
des OLG direkt gegen den Beschluss vom 25.8.1987 in Sachen Nölkenbockhoff gegen
Deutschland verstößt. In dem Beschluss hat der Europäische Gerichtshof
klargestellt, dass die Entscheidungsgründe vom Entscheidungstenor nicht zu
trennen sind. Es wird auf Randziffer 37 der Entscheidungsgründe in Sachen
Nölkenbockhoff gegen Deutschland ausdrücklich verwiesen, wo es heißt:
Eine
Entscheidung, die die Entschädigung für erlittene Untersuchungshaft und die
Erstattung der notwendigen Auslagen eines Angeklagten (oder seiner Erben) nach
Einstellung des Verfahrens ablehnt, kann dennoch ein Problem nach Art. 6 Abs. 2
aufwerfen, wenn die Entscheidungsgründe, die vom Tenor nicht getrennt werden
können, im Kern einer Entscheidung über die Schuld des Angeklagten
gleichkommen, ohne dass eine Schuld zuvor in der gesetzlich vorgeschriebenen
Form nachgewiesen wurde und insbesondere, ohne dass er seine
Verteidigungsrechte wahrnehmen konnte.
Aus diesen Grundsätzen ergibt
sich ohne Weiteres, dass die Behauptung der 5. Sektion, das OLG habe die
Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen (dismissed), in jeder Beziehung
unhaltbar ist. Der Tenor – unzulässig – kann nicht mit dem Argument der
Unbegründetheit gerechtfertigt werden.
Es bleibt bei dem nicht zu
leugnenden Faktum, dass das OLG entgegen der ihm bekannten, das OLG selbst
bindenden Rechtsprechung, gegen die Beschwerdeführer eine Rechtswegsperre
verhängt hat und damit endgültig und umfassend gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK
verstoßen hat.
e.) Nach der höchstrichterlichen
Rechtsprechung in Deutschland stellt die Versagung des Auslagenersatzes keine
Strafe oder strafähnliche Sanktion dar und widerspricht insofern nicht der auch
nach deutschem Recht geschützten verfassungsrechtlichen Unschuldsvermutung,
solange sich die Entscheidung über die Auslagenerstattungen auf Erwägungen
zum Tatverdacht
stützt und ihre Begründung keine gerichtliche Schuldfeststellung oder Zuweisung
enthält.
Vgl. Bundesverfassungsgericht
Band 82, Seite 106, Seite 119, ferner Bundesverfassungsgericht 2 BvR 386/04 vom
2.4.2004.
Die verfassungsrechtlich
geschützte Unschuldsvermutung des Grundgesetzes, die mit der Unschuldsvermutung
des Art. 6 Abs. 2 EMRK übereinstimmt, wird danach durch jede gerichtliche
Schuldfeststellung oder Zuweisung, die in der Entscheidung enthalten ist,
verletzt. Es kann und muss sich dabei nicht um eine finale Schuldzuweisung im
Rahmen einer Verurteilung handeln, was im Rahmen eines Beschlusses über eine
Verfahrenseinstellung ja überhaupt nicht möglich ist und von Gesetzeswegen
überhaupt nicht in Frage kommen kann. Im Rahmen der hier zur Prüfung
anstehenden Verletzung der Unschuldsvermutung der Konvention kommt es nur
darauf an, ob das die Einstellung vornehmende Gericht sich selbst mit der
Schuldfrage beschäftigt hat und sich den Schuldspruch des Urteils vom 12.5.2011
aufgrund eigener Überprüfung zu Eigen gemacht hat. Ist dies der Fall, ist von
einer Verletzung des Art. 6 Abs. 2 EMRK auszugehen. Nur für den Fall, dass das
die Einstellung vornehmende Gericht den Schuldspruch des Urteils vom 12.5.2011
lediglich als Indiz für einen bestehenden Verdacht ansieht und keine Umstände
erkennbar sind, die diese Verdachtslage erschüttern können, kann das Gericht
ohne Verletzung der Unschuldsvermutung eine Ermessensentscheidung im Sinne des
§ 467 Abs. 3, Abs. 4 StPO fällen.
Es kommt hinzu, dass geradezu offensichtlich
ist, dass die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes in Sachen
Nölkenbockhoff gegen Deutschland unhaltbar ist. Die Kommission hatte damals
völlig zu Recht den Antrag gestellt, die Verletzung des Art. 6 Abs. 2 EMRK
festzustellen. Es war unhaltbar, die Prognose des LG Essen sowie des OLG Hamm
in die Beschreibung einer bloßen Verdachtslage umzufunktionieren, da sowohl LG
Essen als auch OLG Hamm an keiner Stelle ihrer Beschlüsse von einer
Verdachtslage gegen Nölkenbockhoff ausgegangen sind, vielmehr dessen
Verurteilung und dessen Scheitern in der Revisionsinstanz als „annähend sicher
zu erwarten“ bezeichnet haben.
f.) Die 5. Sektion des
Europäischen Gerichtshofes verkennt ganz offensichtlich, dass selbst dann, wenn
man die Entscheidung desEuropäischen Gerichtshofes in der Sache Nölkenbockhoff
gegen Deutschland für richtig hält, der hier angegriffene Beschluss weder das
Wort Verdachtslage noch die Worte annähernd sicher oder sonstige
Einschränkungen enthält. Ganz im Gegenteil. Es heißt hier:
Der
Schuldspruch beruhte auf einer ausführlichen Beweiswürdigung zu den
Tatsachenfeststellungen und einer Erörterung sämtlicher maßgeblicher
Rechtserwägungen.
Damit wird der Schuldspruch
zementiert. Die Verwendung der Worte „ohne abschließende Schuldzuweisung“ kann
nicht bedeuten, dass die vorher gemachten Ausführungen im Nachhinein und
rückwirkend als bloße Beschreibung einer bestehenden Verdachtslage zu
interpretieren sind. Vielmehr wird durch
die Verwendung der Worte „ohne abschließende Schuldzuweisung“ geradezu die
sichere Überzeugung der entscheidenden Richter von der Schuld des Angeklagten
ausdrücklich betont und bedauert, dass diese Schuldzuweisung nicht mehr
rechtskräftig werden konnte, weil der Verteidiger das Verfahren sabotiert habe.
Die 5. Sektion des Europäischen
Gerichtshofes behauptet auf Seite 10 in Randziffer 41:
This view ist supportet by the
Regional Court´s explicit statemend that the decision regarding necessary
expenses was taken “in the absence of a conclusive findling of guilt” (see
paragraph 9 above).
Diese Behauptung der 5. Sektion
leitet die Kammer aus dem obiter dictum des OLG München im Beschluss vom
4.10.2012 ab. Das OLG leitet wiederum sein obiter dictum aus der Formulierung
des Beschlusses des LG vom 5.4.2012 ab, worin es heißt:
Die Entscheidung
ergehe „ohne abschließende Schuldzuweisung“.
Es ist ein Verstoß gegen die
juristischen Denkgesetzte, die Entscheidung des LG durch das obiter dictum des
OLG München, welches die Beschwerde ausdrücklich als unzulässig verworfen hat
und damit den Rechtsweg versperrt, hat zu ergänzen und aus der Ansicht des OLG
in diesem obiter dictum dem LG zu unterstellen, es habe keine Schuldzuweisung
vorgenommen.
Das OLG sieht sich nämlich
zwingend gehalten, die Behauptung aufzustellen, dass gegen den verstorbenen
Angeklagten im Zeitpunkt der Verfahrenseinstellung ein
T a t v e r d a c h t
bestand und dieser Tatverdacht
die Anwendung des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO zulasse. Erst das obiter
dictum des OLG führt erstmals den Begriff des Tatverdachtes ein, der weder bei
der Entscheidung des OLG über die Versperrung des Rechtsweges noch bei der
Entscheidung des LG an irgendeiner Stelle vorkommt. Es fehlt in der
Entscheidung des LG vollständig die von der 5. Kammer selbst formulierte und
zwingende und unverzichtbare Bedingung der
description of a „state of suspicion“.
Zu berücksichtigen ist in diesem
Zusammenhang, dass die Schwurgerichtskammer bei der Beschlussfassung am
5.4.2012 nicht mit den Richtern des Urteils vom 12.5.2011 besetzt war, sondern
in einer anderen Besetzung den Beschluss gefasst hat.
Die Auffassung, dass der Schuldspruch
auf einer ausführlichen Beweiswürdigung zu den Tatsachenfeststellungen und
einer Erörterung sämtlicher maßgeblicher Rechtserwägungen beruhte, beruht
ihrerseits zwingend auf einer eigenen eigenständigen neuen Überprüfung des gesamten Verfahrens
durch die Richter Lenz, Wölfel und Venneberg, mithin durch die Kammer in
anderer Besetzung als der Besetzung vom 12.5.2011. Mit dem Beschluss vom
5.4.2012 gestehen die Richter, sich mit dem Schuldspruch des Urteils vom
12.5.2011 umfassend beschäftigt zu haben und diesen überprüft zu haben. Bei
dieser Überprüfung wollen sie festgestellt haben, dass der Schuldspruch sowohl
auf einer ausführlichen Beweiswürdigung zu den Tatsachenfeststellungen als auch
auf einer Erörterung sämtlicher maßgeblicher Rechtserwägungen beruht, mithin
richtig ist. Mit der Formulierung im Beschluss vom 5.4.2012 bekundet somit die
Kammer in anderer richterlicher Besetzung die materielle und juristische
Richtigkeit des Schuldspruches aus dem Urteil vom 12.5.2011 und macht sich den
Schuldspruch selbst zu Eigen. Sie betont ausdrücklich, dass sie den
Schuldspruch nicht nur als historisches Faktum übernimmt, sondern es wird ausdrücklich
betont, dass eine eigene juristische Überprüfung stattgefunden hat, nämlich die
Untersuchung, ob der Schuldspruch auf einer ausführlichen Beweiswürdigung zu
den Tatsachenfeststellungen und auf einer Erörterung sämtlicher maßgeblicher
Rechtserwägungen beruht. Dabei stellt die Kammer sowohl die Richtigkeit und
Vollständigkeit der Beweiswürdigung fest als auch die vollständige Erörterung
sämtlicher maßgeblicher Rechtserwägungen und macht sich diese nach Überprüfung
zu Eigen.
Die Konsequenz ist ein zentraler
und nachhaltiger Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 GG durch das LG München in der
Entscheidung vom 5.4.2012. Das LG München war weder gesetzlich autorisiert noch
zuständig dafür noch ohne den Angeklagten in der Lage, die von ihm vorgenommene
materiell rechtliche Überprüfung des Schuldspruches durchzuführen und den
Schuldspruch des Urteils vom 12.5.2011 zu bestätigen. Art. 6 Abs. 2 EMRK
verbietet schlechthin nicht nur eine abschließende Schuldzuweisung, sondern
auch jegliche eigene Überprüfung und Bestätigung der Richtigkeit oder
Unrichtigkeit des Schuldspruches. Die 5. Sektion des Europäischen Gerichtshofes
verkennt vollständig diesen Schutzbereich des Art.6 Abs. 2 EMRK und ignoriert
ihn. Art. 6 Abs. 2 schützt nicht nur vor der Finalität eines Schuldspruches
ohne Hauptverhandlung, Art. 6 Abs. 2 schützt generell vor der Überprüfung und
Bestätigung eines Schuldspruches durch ein unzuständiges Gericht sowie vor der
Identifikation eines Gerichtes mit einem von einem anderen Gericht oder dem
Gericht in anderer Besetzung gefällten
Schuldspruches, ohne dass es auf die Finalität der Verurteilung ankommt.
g.) Dies gilt im vorliegenden Fall
umso mehr deshalb, weil das LG und seine Richter genau wussten, dass die
Entscheidung vom 5.4.2012 die letzte Entscheidung war, die in dem
Strafverfahren Demjanjuk überhaupt ergehen konnte. Machte sich somit in dieser
Entscheidung das LG den Schuldspruch des Urteils vom 12.5.2011 nach eigener
bekundeter Überprüfung und eigener Überzeugung zu Eigen und zur Begründung
seiner Entscheidung, war zwar die Verurteilung nicht rechtskräftig, wirkte aber
die Überprüfung, Bestätigung und Verstärkung des Schuldspruches durch die
Entscheidung des LG vom 5.4.2012 in der Öffentlichkeit genauso wie ein
rechtskräftiges Schuldspruch.
h.) Das vorstehende Ergebnis wird
bestätigt durch die weitere Begründung des landgerichtlichen Beschlusses. Das
LG überprüft nämlich die Frage, warum der nach seiner eigenen Prüfung,
Überzeugung und Bestätigung zu Recht bestehende Schuldspruch gegen den
verstorbenen Angeklagten nicht durch die Revisionsinstanz überprüft und
bestätigt wurde. Schuld daran, so das LG, war ausschließlich und allein der
Verteidiger und dessen Verteidigungsstrategie, die das LG als
„Verfahrenssabotage“ brandmarkt.
Der Gebrauch der Worte „ohne
abschließende Schuldzuweisung“ ist weder für sich noch im Gesamtkontext des
Beschlusses als Hinweis auf einen „State ob suspicion“ zu verstehen, sondern
als Verhinderung der nach Auffassung des LG nach eigener Überprüfung berechtigten
und zutreffenden Schuldzuweisung des Urteils vom 12.5.2011 durch den
Verteidiger.
Die Richtigkeit dieser Auffassung
wird durch den Hintergrund des Prozesses gegen John Demjanjuk belegt. Von den
rund 5.000 Trawniki Männern, die unter der Naziherrschaft rekrutiert wurden,
wurde John Demjanjuk mehr als 70 Jahre nach dem Kriege unzulässig nach
Deutschland deportiert und angeklagt, sich die Naziideologie zu Eigen gemacht
zu haben und freiwillig und bereitwillig sich am Massenmord des deutschen
Mörderstaates durch Beihilfe beteiligt zu haben. Es war bis dahin Rechtsüberzeugung
in ganz Deutschland, dass Trawnikis, auch wenn sie in Vernichtungslagern
gedient hatten, generell unschuldig waren, es sei denn, sie hätten von sich aus
in den Vernichtungslagern Exzesstaten verübt. Die Unschuld wurde aus der
historischen Tatsache und Wahrheit hergeleitet, dass die Trawniki aus den
Kriegsgefangenenlagern der Nazis rekrutiert wurden, in denen die Angehörigen
der Roten Armee gefangen gehalten wurden und systematisch durch Hunger bzw.
Naziterror bzw. Vergasung ermordet wurden.
Jedermann hielt in der
Bundesrepublik Trawnikis zugute, dass sie nicht freiwillig Dienst in den
Vernichtungslagern geleistet und unter ständigem Befehlsnotstand mit
Lebensgefahr gestanden hätten. Eine Flucht sei ihnen weder zumutbar noch
möglich gewesen.
Das höchste israelische Gericht
hatte im Prozess gegen Demjanjuk bereits angenommen, Demjanjuk habe in Sobibor
im dortigen Vernichtungslager als Wachmann gedient, hatte jedoch darauf
hingewiesen, dass Demjanjuk deswegen nicht verurteilt werden könne. Man habe
nämlich kein Wissen und keine Fakten, wann er genau zu welchen Zeiten bei
Ankunft von jüdischen Opfern im Lager gewesen sei und dort Wachdienst
verrichtet hätte und wann nicht. Während der Zeit, in der er nach seinem
Dienstausweis in Sobibor gewesen sei, habe es oft Abordnungen von Trawniki an
andere Orte gegeben, so dass es schlechthin unmöglich sei, ihn zu verurteilen. Dasselbst
gelte, weil man gar nicht wisse, was Demjanjuk in dem Vernichtungslager an
Diensten verrichtet habe.
Damit steht fest, dass jedermann
in der Bundesrepublik wusste, dass Demjanjuk unschuldig war und nicht
verurteilt werden durfte. Das wussten auch die Initiatoren des Prozesses gegen
Demjanjuk, deren politisches Anliegen es jedoch war, Deutschland auf dem Wege
zur Führungsmacht Europas trotz der Gräueltaten der Nazis wieder salonfähig zu
machen. Man glaubte, dies dadurch erreichen zu können, dass man die deutsche
Alleinschuld am Holocaust und am Judenmord relativierte und den Holocaust und
seine Verantwortung dafür europäisierte. Man wollte weitere europäische
Nationen als Kollaborateure des Naziterrors neben Deutschland stellen und somit
zu einer milderen Beurteilung der deutschen Nazigräuel kommen.
Das Verfahren vor dem LG München
mit dem Schuldspruch vom 12.5.2011 war ein politischer Prozess, der das
politisch gewollte und erhoffte Ergebnis brachte. Es ging bei der Einstellung
ausschließlich darum, den Schuldspruch zu verteidigen und über die Revision
hinaus und an der Revision vorbei zu retten. Der Bundesgerichtshof hätte keine
andere Wahl gehabt, als den Angeklagten freizusprechen. Mit der Entscheidung
des LG München vom 5.4.2012 wurde der letzte und letztmögliche Versuch
unternommen, Trawnikis und damit eine Vielzahl europäischer Nationen als Kollaborateure
der Nazis darzustellen und sie mitverantwortlich für den Judenmord zu machen. Im
Angesicht der historischen Wahrheit, dass Deutschland die Alleinschuld an den
unvorstellbaren Verbrechen der Nazis trägt, muss diesem deutschen Versuch
resolut durch den Europäischen Gerichtshof entgegengetreten werden.
j.) Geradezu offensichtlich ist,
dass sich im Beschluss vom 5.4.2012 keineswegs die von der 5. Sektion
behaupteten unglücklichen Formulierungen befinden. Vielmehr hat das Gericht
ganz gezielt unwahr über den Prozessverlauf berichtet. Dieser hat sich, wie
allgemein bekannt, so in die Länge gezogen, weil maximal pro Woche an zwei oder
drei Verhandlungstagen für jeweils 90 Minuten vormittags und nachmittags verhandelt werden
durfte. Der Angeklagte wäre bei längerer Verfahrensdauer absolut verhandlungsunfähig
gewesen. Schon deshalb kam es zu wochenlangen Verzögerungen des
Prozessgeschehens. Zahlreiche Verhandlungstage fielen aus, weil der Angeklagte
an den angesetzten Verhandlungstagen so niedrige Blutwerte hatte, dass er in
einer Art Dämmerzustand an der Verhandlung gar nicht teilnehmen konnte, ihm
vielmehr im Krankenhaus Blutinfusionen gegeben werden mussten.
Gegen den seit Jahren an einer
todbringenden Krankheit leidenden Angeklagten durfte gar nicht verhandelt
werden. Es war so gut wie sicher, dass dieser den Prozess nicht überleben würde
und jederzeit mit seinem Tode zu rechnen war. Es wurde daher landauf landab von
einem Wettrennen des Gerichtes mit der Zeit gesprochen. Der Tod des Angeklagten
und ein Platzen des Prozesses vor Rechtskraft waren so gut wie sicher. Ein
Prozess durfte unter diesen Umständen überhaupt nicht stattfinden, jedoch
sollte gegen den Angeklagten unbedingt ein Exempel statuiert und Deutschland
von der Alleinschuld am Judenmord exkulpiert werden. Dafür war Demjanjuk das
ersehnte und missbrauchte Instrument unter Schaffung eines kompletten
Zerrbildes der historischen Wahrheit über die Alleinschuld Deutschlands am
Judenmord. Hinzu kam, dass dem Angeklagten sämtliche Urkunden, die wochenlang
verlesen wurden, in die ukrainische Sprache übersetzt und verlesen werden
mussten, so dass die Behauptung, der Verteidiger habe die Rechtskraft der
Verurteilung verhindert, in hohem Maße objektiv unwahr ist.
Es bleibt darauf hinzuweisen,
dass es sicherlich eine Demütigung der Verfahrensbeteiligten ist, dass sie die
Entscheidung der 5. Sektion vom 24.1.2019 aus der Presse und nicht vom Gericht
erfahren mussten.
k.) Zusammengefasst ist auf Folgendes
hinzuweisen:
Die Unschuldsvermutung des Art. 6
EMRK wird durch die Entscheidung der 5. Sektion so aufgeweicht, dass sie ihren
Charakter als fundamentales und unverzichtbares Menschenrecht verliert. Die 5.
Sektion erlaubt den Gerichten sogar die Sperrung des Rechtsweges zu den
Gerichten und sieht darin nur einen theoretischen Verstoß gegen Art. 6 EMRK.
Selbst die Äußerung der Überzeugung von der Schuld des Angeklagten nach eigener
Überprüfung und ausdrücklicher Bejahung eines erstinstanzlichen Schuldspruches
führt nach der Entscheidung der 5. Sektion nicht zu einem Verstoß gegen Art. 6
EMRK, solange und soweit das einstellende Gericht seine Entscheidung mit dem formellen
Zusatz versieht, dass das erstinstanzliche Urteil nicht rechtskräftig geworden
sei. Es wird dann dem einstellenden Gericht einfach unterstellt, es habe
lediglich eine Verdachtslage beschreiben wollen, im Übrigen seien seine
Ausführungen nur als unglücklich einzustufen. Die Auffassung der 5. Sektion
führt somit zu einer umfassenden Aushebelung des Art. 6 EMRK und öffnet den
Gerichten Tür und Tor zur unzulässigen und illegalen Beschäftigung mit der
Schuldfrage unter Ausschluss der zwingend vorgeschriebenen Mitwirkung des
Angeklagten. Damit wird Art. 6 EMRK, der unter den Menschenrechten
Leuchtturmwirkung hat, zur Bedeutungslosigkeit herabgestuft.
Mit
freundlichen Grüßen
Dr.
Ulrich Busch
Rechtsanwalt
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