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Donnerstag, 18. Juli 2013

Rechtsbruch oder Dammbruch?


Die Öffentlichkeit glaubt, der Fall Demjanjuk habe mit der Verurteilung des Angeklagten durch das Landgericht München II sein befriedigendes Ende gefunden. Die juristische Wahrheit sieht anders aus:

Das Verfahren ist unter Wegfall des Urteils durch Beschluss des Landgerichts München II vom 5.4.2012 eingestellt worden. Dies bedeutet nicht mehr und nicht weniger als:

Durch den Tod des Angeklagten ist der Prozess geplatzt, die Verurteilung des Angeklagten weggefallen und die Kosten des Verfahrens sind

der Staatskasse
auferlegt worden. Der Angeklagte ist unverurteilt und unschuldig gestorben.
Gleichwohl:

Zum ersten Mal in der Rechtsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland wird ein nicht existentes weggefallenes Urteil als

historisches Urteil und historischer Dammbruch

gefeiert.

Solche Superlativen und Lobeshymnen müssen jedoch dann verstummen, wenn das Urteil so schwere Fehler aufweist, dass der objektive Verdacht eines Rechtsbruchs oder sogar einer Rechtsbeugung entstehen könnte.
Dann müsste das Urteil sicher geistig und physisch geschreddert werden.

Schwere Fehler im Sinne eines nicht ausschließbaren Rechtsbruches hat das Urteil schon dann, wenn es den Angeklagten auch nur bezüglich einer Person zu Unrecht wegen Beihilfe zum Mord an diesem angeblichen Tatopfer in Sobibor verurteilt.

Überprüfen wir also das Urteil und greifen gleich drei Fälle heraus, vgl. Urteilsgründe Seite 34 bis 37:

„Transport vom 11. Mai 1943, in Sobibor angekommen am 14. Mai 1943, mit 1373 Personen; hiervon wurden mindestens 1200 noch am Ankunftstag in den Gaskammern getötet; unter ihnen befand sich die Mutter des Nebenklägers Marco de Groot.“
„Transport von 18. Mai 1943, in Sobibor angekommen am 21. Mai 1943, mit 2461 Personen, hiervon wurden mindestens 2300 noch am Ankunftstag in den Gaskammern getötet, unter ihnen befanden sich der Vater der Nebenklägerin Judith Ashkenasy.“
 „Transport von 25. Mai 1943, in Sobibor angekommen am 28. Mai 1943, mit 2865 Personen, hiervon wurden mindestens 2800 noch am Ankunftsgag in den Gaskammern getötet, unter ihnen befanden sich die Eltern des Nebenklägers Jan Goedel.“
Die Richter konnten den Angeklagten Demjanjuk nur dann wegen Beihilfe zum Mord an der Mutter des Nebenklägers Marco de Groot, an dem Vater der Nebenklägerin Judith Ashkenasy oder an den Eltern des Nebenklägers Jan Goedel verurteilen, wenn ohne Zweifel feststand, dass sowohl diese Tatopfer als auch der Angeklagte am 14.5.1943, am 21.5.1943 und am 28.5.1943 zumindest in Sobibor anwesend waren und zwar zur gleichen Zeit.

Anwesenheit der Tatopfer in Sobibor:

Die Richter hatten ausschließlich Transportlisten aus Westerbork zur Verfügung, aus denen sie ihre Feststellungen, (Seite 34 bis 37) des Urteils entnehmen konnten. Es gab und es gibt weder Ankunftslisten noch eine Erfassung der Tatopfer in Sobibor. Alle Behauptungen über die Ankunft der Mutter des Nebenklägers Marco de Groot, des Vaters der Nebenklägerin Judith Ashkenasy und der Eltern des Nebenklägers Jan Goedel sind und waren nichts anderes als Vermutung und Schlussfolgerungen aus den Abtransportlisten Westerbork. Es gab weder eine Urkunde noch eine Zeugenaussage noch irgendein anderes Beweismittel, mit dem die Richter nachweisen konnten, dass die vier Personen in Sobibor angekommen sind und sodann am 14.5., 21.5. und 28.5.1943 dort vergast wurden.

Der fehlende Beweis der Ankunft der vorgenannten Personen ergibt sich ohne Weiteres aus Seite 36 des Urteils selbst. Wenn am 11. Mai 1943 1373 Personen von Westerbork abtransportiert, jedoch 1200 Personen am Ankunftstag in den Gaskammern von Sobibor getötet wurden, ist das Schicksal von 173 Personen ungeklärt. Für den Transport vom 18. Mai 1943, angekommen am 21. Mai 1943, ist das Schicksal von 161 Personen ungeklärt. Für den Transport vom 25. Mai 1943, angekommen am 28. Mai 1943, ist das Schicksal von 65 Personen ungeklärt.

Wer waren die 173, 161 bzw. 65 Personen? Steht fest, dass die Mutter des Nebenklägers Marco de Groot nicht zu den 173 Personen gehörte? Ist sicher, dass der Vater der Nebenklägerin Judith Ashkenasy nicht zu den 161 Personen gehörte? Wer hat bewiesen, dass die Eltern des Nebenklägers Jan Goedel nicht zu den 65 Personen, die nicht getötet wurden, gehörten?

Das Urteil liefert selbst den Beweis, dass eine Anwesenheit der Angehörigen dieser Nebenkläger am Vernichtungstag in Sobibor nichts anderes als Spekulation ist.

Das Urteil führt auf Seite 94 aus, dass während der Transporte bis maximal 2% der Tatopfer auf dem Weg nach Sobibor verstarben.

Selbst wenn man nur von 1% ausgeht, sind das beim Transport vom 11. Mai 1943 13 Personen, beim Transport vom 18. Mai 1943 24 Personen und beim Transport vom 25. Mai 1943 28 Personen.

Auf Seite 95 erwähnt das Urteil, dass im Einzelfall bei Transporten nach Sobibor Selektierungen für Zwangsarbeiten vorgenommen wurden. Das Urteil räumt ferner ein, dass solche Selektierungen von Zwangsarbeitern bei der Ankunft der Züge aus Westerbork in Sobibor bekannt wurden.

Auf Seite 36 des Urteils heißt es zum Transport von Westerbork nach Sobibor vom 1.6.1943, angekommen am 4.6.1943:

Der Nebenkläger Jules Schelvis wurde mit einer Gruppe von weiteren 80 Häftlingen als Arbeitshäftling ausgesondert und ins Lager Dorohucza geschickt.
Dem Landgericht München II lag vor der Bericht www.deathcamps.org/sobibor/labourcamps_ de.html „Sobibor Arbeitslager“ vor, wo es heißt:

Sobibor war wohl das einzige Vernichtungslager der Aktion Reinhardt, in dem die SS größere Gruppen für die Arbeit in anderen Lagern selektierte (z.B. Budzyn, Trawniki, Poniatowa und Dorohucza). Die Anzahl der Selektierten ist unbekannt.
Den Richtern lag die Aussage der Zeugin Sophia Engelsmann vor dem Landgericht Hamburg aus dem Jahre 1966 vor, wo es heißt:

Ich wurde im März 1943 aus Westerbork, Holland, mit einem Eisenbahntransport nach Sobibor gebracht. Dort waren wir am 15.3.1943. Man fragte dort nach jungen Menschen, die den Beruf von Krankenschwestern oder Waschmädchen ausübten. Zusammen mit 29 anderen Mädchen meldete ich mich und kam am nächsten Tag nach Lublin. Ich meine, zunächst war ich noch einen Tag in Maidanek. Wir 30 Mädchen kamen am nächsten Tag, also am 17.3.1943 in das Lager Alter Flughafen.
Den Richtern lag der Aufsatz des Mitarbeiters der Gedenkstätte Maidanek Robert Kubalek „Die Durchgangsgettos im District Lublin“ vor, der vermerkt:

Als die Aktion Reinhardt begann, vor allem aber, als die Deutschen das Vernichtungslager Sobibor in Betrieb nahmen, wurden aus den in dieses Lager geschickten Transporten, hauptsächlich aus den ausländischen, junge  Männer ausgewählt, die für einige Zeit zur Arbeit in die kleinen Arbeitslager Krychow, Sajczyce, Osowa, Nowosaiolki, Sawin und Adampol verlegt wurden. Wenn man sich eine Karte ansieht, so stellt man fest, dass sie einen Kreis rund um das Vernichtungslager Sobibor bilden. Die Auswahl der Arbeitsfähigen erfolgte auf der Rampe in Sobibor. …

Den Richtern des Landgerichts München war bekannt, dass das Landgericht Hagen in seinem Sobiborurteil auf Seite 399 bestätigt, dass in Sobibor aus den ankommenden Vernichtungszügen Vernichtungsopfer zur Arbeit in den umliegenden Arbeitslagern selektiert wurden.

In der Hauptverhandlung vor dem Landgericht München bestätigte der als Zeuge vernommene Sachverständige Ten Cate, dass aus den 15 Transporten, die Gegenstand der Anklage vor dem Landgericht München II waren, rund tausend Vernichtungsopfer zu Arbeitszwecken in um Sobibor herum liegende Arbeitslager selektiert wurden.

Schließlich berichtet das Urteil auf Seite 95 selbst, dass aus den ankommenden Vernichtungsopfern Arbeitshäftlinge für die Arbeiten im Vernichtungslager Sobibor selbst selektiert wurden. Das Urteil schätzt die Zahl der Funktionshäftlinge auf 600 bis 700, zeitweise auf bis zu 1000 Personen, wobei die Gesamtzahl der insgesamt während der Existenz des Lagers als Arbeitshäftlinge eingesetzten potentiellen Vernichtungsopfer deutlich höher als 1000 Personen errechnet wird.

Damit steht fest:

Es gab keine absolute Personenidentität zwischen den am 11., 18. und 25.5.1943 aus Westerbork abtransportierten und den am 14., 21. und 28.5.1943 vergasten Personen. Wollte das Landgericht den Angeklagten wegen Beihilfe zum Mord an der Mutter des Nebenklägers Marco de Groot, an dem Vater der Nebenklägerin Judith Aschkenasy und an den Eltern des Nebenklägers Jan Goedel verurteilen, musste das Landgericht konkret nachweisen, dass diese Personen allesamt zu der Gruppe der Vergasten, nicht aber zur Gruppe der auf dem Transport verstorbenen, der auf dem Transport selektierten, der in Sobibor in andere Arbeitslager selektierten oder der für Arbeiten im Lager Sobibor selektierten Gruppen gehörten. Einen solchen Beweis oder den Versuch dazu findet man im Urteil auch nicht ansatzweise. Die Behauptung einer bloßen Vermutung und das sich Hinwegsetzen über den zwingend anzuwendenden Grundsatz „in dubio pro reo“ stellt sich als objektiver Rechtsbruch dar.

Die Anwesenheit des Angeklagten in Sobibor zur Tatzeit
:

Weitere Mindestvoraussetzung für eine Verurteilung des Angeklagten war, dass das Landgericht München II im Urteil nachwies, dass Demjanjuk am 14., 21. und 28.5.1943, dem angeblichen Todestag seiner angeblichen Opfer, physisch überhaupt im Lager Sobibor anwesend war, ganz unabhängig von der Frage, ob man sich durch bloße Anwesenheit am Ort eines Verbrechens schuldig machen kann oder nicht.
Über die Anwesenheit des Angeklagten Demjanjuk gibt es im Urteil nur spärliche Hinweise.  

„Er wirkte im Tatzeitraum vom 27. März 1943 bis Mitte September 1943 als Wachmann im Vernichtungslager Sobibor an der Vernichtung der dorthin transportierten Juden mit. …
„Am 26. März 1943 kommandierte die Leitung des Ausbildungslagers Trawniki den Angeklagten zusammen mit 83 anderen Trawniki-Männern ins Vernichtungslager Sobibor ab. Dort tat er bis zum September 1943 Dienst.“
Besonders auffällig sind allerdings die Ausführungen des Urteils auf Seite 182 / 183, wo die Kammer ihre Überzeugung von einer ununterbrochenen Anwesenheit des Angeklagten in Sobibor zum Ausdruck bringt:

Die Kammer sei überzeugt davon, dass der Angeklagte bei der Ankunft der festgestellten 15 Deportationszüge als Wachmann auf im Einzelnen nicht feststellbaren Posten Dienst tat und nicht etwa anderweitig eingesetzt oder sonst verblieben war. Dies sei durch die Aussage eines russischen Wachmannes, Ignat Danilschenko ausdrücklich bestätigt worden.
Das Verfahren hätte keine Hinweise darauf ergeben, dass der Angeklagte im verfahrensgegenständlichen Zeitraum nicht oder nicht dauernd in Sobibor gewesen sei. Die Kammer sei auch der Überzeugung, dass der Angeklagte bis September 1943 in Sobibor geblieben sei. Die Kammer sei auch davon überzeugt, dass keine anderen Gründe vorlagen, aus denen der Angeklagte zwischen dem 27. März 1943 und seiner Abkommandierung nach Flossenbürg das Lager verlassen haben könnte. Dagegen, dass er erkrankt gewesen sein und die Tatzeit oder einen wesentlichen  Teil hiervon in einem Lazarett verbracht haben könne, spreche die Aussage des Danilschenko. Eine Tätigkeit von Wachleuten, die nach Sobibor abkommandiert worden seien, in einem angeblichen „Nebenlager“ schließe die Kammer aus, weil solche Nebenlager nicht dokumentiert seien und es keine Aussagen von Personen gebe, in denen von solchen Lagern oder Selektionen für solche Lager berichtet würde.
Der Inhalt der Vernehmung des Ignat Danilschenko, des Kronzeugen der Kammer, durch den sowjetischen Geheimdienst KGB aus 1949 und 1979 wird von der Kammer wie folgt mitgeteilt:

In der Vernehmung vom 2. März 1949 benannte Danilschenko auf die Frage nach Personen . . .  die zusammen mit ihm bei der SS gedient hätten, insgesamt 10 Namen von anderen Wachmännern, . . . . Hierbei nannte er unter der laufenden Nummer 4 Demjanjuk Iwan, einen Ukrainer, angeblich geboren 1923. Er habe Iwan Demjanjuk zum ersten Mal im März 1943 getroffen und kennengelernt und zwar im Todeslager Sobibor, wo Demjanjuk als Wachmann bei der SS gedient habe. Demjanjuk habe sich als SS-Wachmann an der Massenvernichtung von jüdischen Zivilisten im Lager Sobibor beteiligt und diese bewacht, um jede Möglichkeit einer Flucht vor der Vernichtung auszuräumen. Er habe sie auch als Wachmann zu den Gaskammern begleitet.
In seiner Vernehmung vom 21.11.1979 benannte Danilschenko ebenfalls den Angeklagten und Ivan Ivchenko als Wachmänner, die mit ihm, Danilschenko, zusammen im ersten Wachmannzug gedient hätten. … Danilschenko gab in dieser Vernehmung ferner an, dass er Demjanjuk erstmals in Sobibor getroffen habe, wobei dieser bereits dort gewesen sei. Demjanjuk habe als einfacher SS-Wachmann gedient und sei ständig mit einem Kampfgewehr bewaffnet gewesen. Wie alle anderen Wachmänner habe er Fluchten aus dem Lager verhindern müssen.“ …
Im Übrigen bemerkt das Urteil, dass weitere Zeugenaussagen, welche die Anwesenheit des Angeklagten im Vernichtungslager Sobibor bestätigen, nicht existieren.

Weder der angeblich echte Dienstausweis 1393 noch die angeblich echten Transferlisten noch die wahre Aussage Danilschenkos reichten in Wirklichkeit aus, um konkret und revisionssicher feststellen zu können, der Angeklagte sei am 14., 21. und 28.5. in Sobibor aufenthältlich gewesen. Die Behauptung des Landgerichts war weder bewiesen noch beweisbar. Gegen eine Anwesenheit des Angeklagten an diesen Tagen in Sobibor sprachen beachtliche, die Notwendigkeit der Anwendung des Zweifelssatzes zwingend auslösende massive Bedenken. Den Beweis dafür liefert zunächst das Urteil selbst auf Seite 205:

„Die Trawniki –Männer hatten nach den tatsächlichen Gegebenheiten nicht mehr den Status eines Kriegsgefangenen. Hiergegen sprechen . . . eine eigene Bewaffnung und die Möglichkeit, Urlaub  zu machen, der ihnen sogar die Reise an ihren Heimatort ermöglichte.“
Diese Behauptung der Schwurgerichtskammer musste einen jeden Richter verpflichten, vor einer Verurteilung konkret sicherzustellen, dass der Angeklagte in der Zeit vom 14.5. bis 28.5.1943 nicht im Urlaub war, dass er während eines solchen Urlaubs nicht in seinen etwa 400 km von Sobibor entfernten Heimatort gereist war. Dieser Verpflichtung sind die Richter nicht nachgekommen.

Die Vernehmung Danilschenkos durch den sowjetischen KGB vom 21.11.1979 hatte einen Inhalt, der den Behauptungen des Urteils zu 100 % widerspricht:

„Demjanjuk wurde angesehen als erfahrener und fleißiger Wachmann. Er wurde, zum Beispiel,
von den Deutschen systematisch in die umliegenden Ghettos geschickt, um Juden abzuholen und brachte sie mit Kraftwagen ins Lager zur Vernichtung. Ich bekam solche Aufgaben nicht, da ich nicht genug Erfahrung hatte. Demjanjuk bewachte, von der Außenseite des Bereichs des Vergasungswagens, die Barracke der Arbeitsgemeinschaft, die den Vergasungswagen bediente. Auf diesem Posten sah ich ihn vielmals mit dem Gewehr. Ob er den Bewachungsdienst innerhalb des Bereiches des Vergasungswagens leistete, weiß ich nicht. Dafür, dass Demjanjuk alle Befehle von Deutschen gewissenhaft ausführte, bekam er, sowie ich mich erinnere, oft Urlaubsscheine. Ob er durch Deutsche ausgezeichnet wurde, kann ich mich jetzt nicht erinnern.“
Diese Passagen aus der Aussage des Zeugen Danilschenko sucht man im Urteil vergeblich, obwohl auch diese Passagen der Vernehmung Danilschenkos durch Verlesung der entsprechenden Urkunde in die Hauptverhandlung eingeführt wurden.

Die Richter haben die Aussagen des Zeugen Danilschenko vor dem sowjetischen KGB, einer der größten Verbrecherorganisationen der Nachkriegszeit, die ihre Opfer regelmäßig folterte, als glaubwürdig bezeichnet. Von Folter durch den KGB könne keine Rede sein.

Folgt man somit diesen Aussagen von Danilschenko und den Angaben des Landgerichts München über die Urlaubsreisen von Trawniki in ihre Heimatorte, waren die Richter des Landgerichts München gezwungen, davon auszugehen, dass der Angeklagte Demjanjuk trotz angeblicher Dienstzeit vom 26.3.1943 bis zum 1.10.1943 oftmals infolge von Urlaub und Reisen in seinen Heimatort in Sobibor gar nicht anwesend war, auch und gerade, wenn Vernichtungszüge aus Westerbork ankamen.

Die Kammer musste somit entweder den Zweifelssatz  anwenden und den Angeklagten freisprechen oder aber konkrete Beweise beibringen, die zweifelsfrei belegten, dass der Angeklagte am 14., 21. und 28.5.1943 im Lager Sobibor anwesend war.

Was die Richter des Landgerichts München im vorliegenden Fall zu tun hatten, hatten ihnen bereits 1993 die 5 höchsten Richter Israels vorgemacht, als sie bei völlig identischer Beweislage es mit ihrem Richtereid nicht vereinbaren konnten, einen möglicherweise Unschuldigen unter Verletzung des Zweifelssatzes wegen Sobibor zu verurteilen.

Die entsprechenden Urteilspassagen lauten wie folgt:

„Sogar nach den Aussagen Danilschenkos in der Sowjetunion war Iwan Demjanjuk abwesend von Sobibor von Zeit zu Zeit und Danilschenko wusste nicht, wo Iwan Demjanjuk während dieser Zeiträume war. Gemäß Danilschenkos Worten gab es Abwesenheitszeiten des Iwan Demjanjuk von Sobibor. Danilschenko konnte keine präzisen Angaben hinsichtlich der Daten und der Gründe für die Abwesenheitszeiten geben und man kann aus seinen Angaben nicht ableiten, dass er wusste, wohin Demjanjuk ging, wenn er von Sobibor abwesend war. …
Es ist bereits mehrfach angemerkt worden, dass Danilschenko Abwesenheitszeiten Demjanjuks außerhalb Sobibors bestätigt und es ist nicht möglich festzustellen, wo er während dieser Abwesenheitszeiten war. …
Die vielen Abwesenheiten Demjanjuks von Sobibor waren ein ungewöhnliches Phänomen, wie bewiesen wird durch das Faktum, dass sie in Danilschenkos Gedächtnis blieben über Jahre. Aus Danilschenkos Aussagen wird klar, dass Demjanjuk viele Abwesenheitszeiten hatte. …  Wir haben gesehen, dass Demjanjuk Danilschenko nicht gesagt hat, wohin er gereist ist während seiner häufigen Abwesenheitszeiten.“
Und daraus ziehen die Richter des Supreme Court Israel die von Rechtswegen zwingend gebotenen und einzig möglichen rechtlichen Schlussfolgerungen des Richters, der geschworen hat, nur der Gerechtigkeit und Wahrheit zu dienen:

Justice Barak: “But what was his job at Sobibor? We don´t know anything. Every wachtman is in charge of something. In order to convict him, it isn´t enough what we have. Maybe he just went with convoys to Warsaw and Lublin and Krakow. We don´t know what he did there. What punishment can we impose on him? How do we even know what his job was there.
Can you say that from the standpoint of legal fairness, fairness to ourselves we can now change the whole picture and say that he killed Jews at Sobibor? What did he do at Sobibor? Whom did he see? Whom did he meet? Who saw him? We don´t know anything. This is my sensitivity and that´s what I wanted to say on the subject.”
Die Richter des Landgerichts München hatten vielleicht kein so gutes Gedächtnis wie Danilschenko, dem die vielen Abwesenheiten Demjanjuks von Sobibor über Jahrzehnte im Gedächtnis geblieben waren.

Hatten die Richter der Schwurgerichtskammer die kurz vorher verlesenen Passagen in der Aussage Danilschenkos zur Zeit der Urteilsberatung schon wieder vergessen? Im Urteil des Landgerichts München steht von den vielen Abwesenheitszeiten des Angeklagten kein Wort.

Die höchsten Richter Israels standen in ihrem Demjanjuk-Verfahren unter  Druck, den Angeklagten Demjanjuk zu verurteilen, wenigstens wegen Sobibor.

Sie haben dem Druck Stand gehalten und den Gesetzesbefehl, im Zweifel den Angeklagten freizusprechen, beachtet. Warum haben die Richter Alt, Pfluger und Lenz bei völlig identischer Beweislage wie in Israel den Angeklagten verurteilt? Warum haben sie Aussagen Danilschenkos, die die häufige Abwesenheit des Angeklagten von Sobibor belegten, nicht übernommen und ihrem Urteil zugrundegelegt? Warum sind sie von einer Daueranwesenheit des Angeklagten in Sobibor vom ersten bis zum letzten Tag seines angeblichen Dienstes ausgegangen und haben damit zulasten des Angeklagten ein Sachverhalt konstruiert, den es nach den Bekundungen ihres eigenen Kronzeugen  Danilschenko gar nicht gegeben hat? Ist das Nichterwähnen und Nichtprüfen massiver den Angeklagten entlastender Umstände Rechtsbruch oder Dammbruch?

Dabei kann man diese Frage fast dahingestellt sein lassen, da nicht nur der Rechtsbruch, sondern auch der Dammbruch normalerweise nichts anderes als eine

Katastrophe auslöst.

Der Eindruck einer Katastrophe, die die Verurteilung eines Unschuldigen immer darstellt, drängt sich um so eher auf, als zahlreiche weitere der Schwurgerichtskammer bekannte Indizien den Nachweis einer Anwesenheit des Angeklagten am 14., 21. und 28.5. ausschlossen.

So mussten ja die in Sobibor für die tatsächlich existierenden umliegenden Arbeitslager selektierten Ankömmlinge durch Trawniki, die Sobibor zugeteilt waren, eskortiert und in den Arbeitslagern bewacht werden.

Die Kammer musste beweisen, dass es  nicht der Angeklagte war, der Jules Schelvis nach Dorohucza verbachte und Sophia Engelsmann nach Lublin.

Der jüdische Arbeitshäftling Dow Freiberg, der von Mai 1942 bis Oktober 1943 in Sobibor gefangen gehalten wurde, berichtete, dass nach Sobibor abkommandierte Trawniki nach Treblinka versetzt wurden. War der Angeklagte unter dieser Personengruppe? Der als Experte vor den bundesdeutschen Gerichten hoch geschätzte Prof. Scheffler berichtete zu diesem Themenkomplex vor dem Bezirksgericht Jerusalem:

There were also transfers between bases which were not reported to headquarters, and which were not recorded at all (pp. 3413, 3471), (vgl. Seite 327 des Urteils).
Mit dieser Aussage von Prof. Scheffler war den Eintragungen im angeblich echten Dienstausweis und den Eintragungen auf den angeblich echten Transferlisten jeder Beweiswert genommen. Die Eintragungen bewiesen nur den Transfer nach Sobibor, nicht aber einen Aufenthalt des Angeklagten in Sobibor, der genauso gut ohne jede Eintragung und ohne jede schriftliche Urkunde einem ganz anderen Lager zugewiesen sein konnte und sich deshalb gar nicht in Sobibor aufhalten musste.
Prof. Dr. Rüther hatte mit Schreiben vom 9.11.2012 ausdrücklich gewarnt. Es heißt in seinem Schreiben an Staatsanwalt Dr. Lutz:
  
„Denn gerade in dieser Zeit (in der der Angeklagte Demjanjuk in Sobibor gewesen sein soll) haben Arbeitskommandos jüdischer Sobibor-Häftlinge unter Anleitung und Bewachung von Deutschen und fremdvölkischen Mitgliedern des dortigen Lagerpersonals die in der vorhergehenden Zeit geräumten Ghettos im Umland von Sobibor abgerissen. Die dabei eingesetzten Lagerpersonal-Angehörigen können sich während dieser Abreiss-Aktionen schwerlich an Verbrechen in Sobibor beteiligt haben. Das hat bereits im ersten Hagener Sobibor-Verfahren zum Freispruch Wenzels im Falle Kapo Moische geführt.“
Es fehlte auch nicht an Warnungen aus Deutschland. So fragte Prof. Prittwitz im Strafverteidiger November 2010:

Was, wenn Demjanjuk mehrfach Ausgang oder Urlaub hatte, was, wenn er krank war?

Fazit:

Das Landgericht hat weder die Anwesenheit der Angehörigen der Nebenkläger noch die Anwesenheit des Angeklagten Demjanjuk am 14., 21. und 28.5.1943 in Sobibor feststellen können. Es hat den Angeklagten zu Unrecht wegen Beihilfe an der Ermordung der Angehörigen der drei Nebenkläger verurteilt.

Missbrauchte Nebenkläger?

Was für die Angehörigen der Nebenkläger Marco de Groot, Judith Ashkenasy und Jan Goedel gilt, gilt für alle Angehörigen aller anderen Nebenkläger in gleicher Weise.
Der „letzte große NS-Prozess“ stellt nicht nur einen unschuldigen ausländischen Kriegsgefangenen vor ein Gericht des Tätervolkes und vermittelt damit den Eindruck „ausländischer Schuld am Holocaust“, sondern produziert auch noch ein glattes Fehlurteil. Das ist nicht nur ein Dammbruch, sondern ein

Fiasko,

snicht zuletzt für alle Nebenkläger, denen ein Opfer des Naziterrors als „Kriegsmonster und Nazischerge“ präsentiert wurde.