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Donnerstag, 31. Januar 2013

Ein vergesslicher Staatsanwalt


In der Todesermittlungssache
John Demjanjuk

nehme ich Bezug auf Ihr Schreiben vom 8.1.2013 und erhebe gegen die Verweigerung der Zuweisung des Verfahrens an eine andere Staatsanwaltschaft nach § 145 GVG das Rechtsmittel der

weiteren Beschwerde zum Justizministerium.

B e g r ü n d u n g :

1.    Die Weigerung der Zuweisung der Sache an eine andere Staatsanwaltschaft verstößt direkt gegen das objektive Willkürverbot im Sinne des Art. 3 GG in Verbindung mit Art. 103 GG sowie in Verbindung mit Art. 19, 20 GG.

Zwar besteht kein Rechtsanspruch auf Substitution oder Devolution, gleichwohl sind bei der Entscheidung die vorgetragenen Sachgesichtspunkte zu beachten.

Aus dem Bescheid vom 8.1.2013 ist nicht ansatzweise eine Beschäftigung mit den Sachgesichtspunkten, die vorgetragen wurden, erkennbar, ferner fehlt es an jeglicher Begründung der Entscheidung.

Dies für sich genommen führt schon zur Verletzung der vorgenannten Verfassungsbestimmungen und ist mit der Verfassungsbeschwerde bzw. der Menschenrechtsbeschwerde nach EMRK angreifbar.

2. In Ergänzung des diesseitigen Sachvortrages verweise ich auf das Schreiben des Leitenden Oberstaatsanwaltes in Traunstein vom 8.1.2013 in der Sache 31 E-II-28/12/402 Js 16380/12.

Hier heißt es:
  
Ihre Dienstaufsichtsbeschwerde vom 28.11.2012 gegen Herrn Staatsanwalt als Gruppenleiter M.


Sehr geehrter Herr Dr. Busch,

aufgrund Ihrer Dienstaufsichtsbeschwerde habe ich den Vorgang anhand der Akten geprüft und mit Herrn Staatsanwalt als Gruppenleiter M. gesprochen. Der Geschehensablauf stellt sich wie folgt dar: Nach Eingang des schriftlichen Sachverständigengutachtens am 12.11.2012 stellte Herr M. mit handschriftlicher Verfügung vom 16.11.2012 das Ermittlungsverfahren mangels hinreichenden Tatverdachts ein. Dabei verfügte er insbesondere, dass Ihnen die Verfahrenseinstellung mit Gründen übersandt wird. Die Einstellungsgründe diktierte er. Am 26.11.2012 wurden ihm die Akte von seiner Serviceeinheit zur Kontrolle des Diktats nochmals vorgelegt. Am 27.11.2012 fragte ein Pressevertreter fernmündlich bei Herrn M. nach dem Verfahrensstand. Herr M. erteilte Auskunft, dass das Verfahren eingestellt wurde. Dabei bedachte er nicht, dass Ihnen und somit den Angehörigen die Mitteilung über die Verfahrenseinstellung noch nicht zugegangen war.
Herr M. bedauert diesen Umstand ausdrücklich. Als er die Presseauskunft erteilte, war ihm diese Problematik nicht bewusst.
Bei dieser Sachlage sind dienstaufsichtliche Maßnahmen ebenso wenig veranlasst wie die Übertragung der Sachbearbeitung an eine andere Staatsanwältin oder einen anderen Staatsanwalt.

Soweit Sie rügen, dass Herr M. Ihnen nach Eingang des Sachverständigengutachtens keine Gelegenheit zur Stellungnahme einräumte, sondern das Verfahren gegen die angezeigten Ärzte gleich einstellte, ist das nicht zu beanstanden. Die Strafprozessordnung sieht nicht explizit vor, dass Anzeigeerstattern nach Eingang von Ermittlungsergebnissen vor einer Entscheidung nach § 170 II Strafprozessordnung Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird. Die Rechte der Anzeigeerstatter werden durch die Beschwerdemöglichkeit gewahrt.

Hinsichtlich der Aktensicht in die sichergestellten Krankenakten ist festzuhalten, dass Sie erstmals mit Schriftsatz vom 04.12.2012 Einsicht in dieselben verlangten. Die Krankenunterlagen wurden Ihnen inzwischen in Ablichtung zur Einsicht zugeleitet. Ein dienstpflichtwidriges Verhalten liegt auch hier unter keinem Gesichtspunkt vor.

Im Übrigen weise ich darauf hin, dass weitere Dienstaufsichtsbeschwerden von Ihnen gegen verfahrensbezogene Maßnahmen und Entscheidungen des Sachbearbeiters und damit zusammenhängende Befangenheitsanträge zwar noch geprüft, aber nicht mehr verbeschieden werden,  siehe Bescheid vom 25.7.2012, Az: 31 E – II 11/12.

Mit freundlichen Grüßen

Im Auftrag
B.
Oberstaatsanwalt

Danach ergibt sich Folgendes:

a.)    Es wird ausgeschlossen, dass Staatsanwalt als Gruppenleiter M. so zerstreut oder so zerfahren seinen Dienst verrichtet, dass ihm weder am 26.11.2012 noch am 27.11.2012 nicht bekannt war, dass er weder die Angehörigen noch deren Rechtsanwalt über die Verfahrenseinstellung informiert hatte. Als ihm die Korrektur seiner handschriftlichen Verfügung vom 16.11.2012 vorgelegt wurde, war für Staatsanwalt M. offensichtlich, dass er seine handschriftliche Verfügung vom 16.11.2012 ja unmöglich den Angehörigen des Verstorbenen noch ihrem Rechtsanwalt zugestellt haben konnte. Gerade die Tatsache, dass ihm sein Diktat zur Kontrolle vorgelegt wurde, machte ihm unzweifelhaft und für jedermann nachvollziehbar vollkommen bewusst, dass er weder die Angehörigen des Verstorbenen noch den Rechtsanwalt der Angehörigen unterrichtet hatte. Es ist daher unzweifelhaft, dass Staatsanwalt M. am 27.11.2012 wusste, dass er die Angehörigen und deren Vertreter nicht informiert hatte. Eine entsprechende gegenteilige Behauptung muss angesichts des vom Leitenden Oberstaatsanwalt geschilderten Sachverhaltes als

bloße Schutzbehauptung gewertet werden.

b.)    Es ging, wie so oft in den letzten Jahren in Bezug auf Staatsanwaltschaften bemängelt, offensichtlich um das sogenannte „Durchstechen“. Zu diesem Sachverhalt schweigt sich der Leitende Oberstaatsanwalt in Traunstein aus.

c.) Der vom Leitenden Oberstaatsanwalt geschilderte Sachverhalt über die Presseinformation durch Staatsanwalt M. stößt auch aus anderen Gründen, insbesondere auch aus dienstrechtlichen Gründen, auf äußerste Bedenken. Der Leitende Oberstaatsanwalt teilt nicht mit, welcher Pressevertreter angerufen hat und ob Staatsanwalt M. sich überhaupt davon überzeugt hat, dass er am Telefon mit einem Pressevertreter verbunden war und wer dieser Pressevertreter ist. Genauso konnte es sich bei dem Anrufer um einen x-beliebigen Dritten handeln, der weder Pressevertreter noch Verfahrensbeteiligter war. Auf bloßen Anruf hin und auf die bloße Behauptung des Anrufers hin, er sei Pressevertreter, darf und kann kein Staatsanwalt Auskünfte aus einem laufenden Ermittlungsverfahren erteilen oder das Ergebnis von Ermittlungsverfahren mitteilen. Dies dürfte nicht nur gegen die Richtlinien im Strafverfahren verstoßen.
Der Leitende Oberstaatsanwalt schweigt sich auch zu diesem Sachverhalt vollständig aus.

d.)   Das Bedauern von Herrn M. wird ausdrücklich zurückgewiesen. Die Angehörigen sind untröstlich darüber, dass sie die unvertretbare und mit juristischen Argumenten nicht erklärbare Einstellung des Verfahrens durch Staatsanwalt M. aus der Presse erfahren mussten.
  
Es wird bestritten, dass dem Staatsanwalt M. diese Problematik nicht bewusst war, als er gezielt die „Presse“ informierte, womit objektiv eine Solidaritätswelle der deutschen Presse mit den Bayrischen Ermittlungsbehörden und Justizbehörden zu Lasten des Verstorbenen ausgelöst werden sollte.

e.)    Hinzu kommt, dass der Leitende Oberstaatsanwalt Traunstein sogar das Verfahren von Staatsanwalt M. gutheißt, die Angehörigen des Verstorbenen bzw. deren Rechtsvertreter nach Eingang des Gutachtens nicht von demselben zu unterrichten und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, bevor eine Entscheidung über die Einstellung oder Anklageerhebung erfolgte.

Hierzu wird zunächst auf den Gang des Verfahrens verwiesen.

Die Staatsanwaltschaft Traunstein hatte das Todesermittlungsverfahren durch den Unterzeichner des Schreibens vom 8.1.2013 nach § 170 Abs. 2 einstellen lassen und jedes Verschulden Fremder am Tod des Verstorbenen  ausgeschlossen.

Dabei hatte der Verfasser der Entscheidung vom 8.1.2013 das toxikologische Gutachten von Prof. G.  gelesen, so dass ihm klar war, dass der Verstorbene mit Novalgin ein seinen Vorerkrankungen gegenüber kontraindiziertes Mittel verabreicht bekommen hatte, und dies entgegen jeder medizinischen und ärztlichen Erkenntnis und entgegen den Stellungnahmen der Bundesärztekammer.

Gleichwohl stellt der Verfasser der Entscheidung vom 8.1.2013 das Verfahren ein.

Erst auf die diesseitige Strafanzeige und den diesseitigen Strafantrag hin wurde das Verfahren wieder aufgenommen und verfügt, ein Gutachten einzuholen.

Das Gutachten wurde von vorne herein mit einem Gutachterauftrag versehen, der juristisch und medizinisch unhaltbar war und die Beweisthematik in unzulässiger Weise zu Lasten des Verstorbene und seiner Angehörigen einschränkte, hingegen objektiv begünstigend für die angezeigten Verdächtigen war.

Hiergegen wurde von Seiten der Angehörigen und ihres Rechtsvertreters vergeblich protestiert, Beschwerden wurden erhoben, die keinen Erfolg hatten oder nicht beschieden wurden bzw. bisher nicht beschieden sind.

Der Antrag auf Beauftragung eines ausländischen Gutachters sowie der Antrag auf Erweiterung des Gutachterauftrages wurde abgelehnt bzw. blieb ohne Ergebnis.

Nachdem das Gutachten, erteilt aufgrund eines objektiv sachwillkürlichen und verfassungswidrigen Gutachterauftrages der Staatsanwaltschaft eingegangen war, wurde es vor der Einstellungsverfügung weder den Angehörigen noch ihrem Rechtsvertreter überreicht noch mit der Einstellungsverfügung. Der Verfasser der Verfügung vom 8.1.2013 behauptet nun, dies sei nicht zu beanstanden.

Dass die Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft und die Entscheidung des Verfassers der Entscheidung vom 8.1.2013 im konkreten Falle mit Art. 103 GG und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unvereinbar ist, ja geradezu das Gegenteil der Bestimmung und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darstellt, muss nicht erläutert werden, sondern liegt auf der Hand.

Mit Eingang des Gutachtens wurde das Gutachten darüber hinaus Teil der Ermittlungsakten. Da nach dem Inhalt des Gutachtens die sichergestellten Krankenakten von den Gutachtern ausgewertet wurden, wurde auch diese zu notwendigen Bestandteilen der Ermittlungsakten.

Nach dem im vorliegenden Fall analog anzuwendenden § 147 StPO darf die Einsicht des Verteidigers in die Gutachten von Sachverständigen in keiner Lage des Verfahrens versagt werden. Dem Staatsanwalt war bekannt, dass der Rechtsvertreter der Angehörigen und dieselben keine Akteneinsicht in das Gutachten hatten und schlechterdings nicht in der Lage waren, aufgrund einer Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft ohne Gutachten und ohne Krankenunterlagen Beschwerdemöglichkeiten gegen die Einstellungsverfügung überhaupt zu überprüfen. Darüber hinaus hatten die Angehörigen als Verletzte Mitwirkungsrechte im Verfahren und hatten den verfassungsrechtlichen Anspruch darauf, vor jeder Entscheidung der Staatsanwaltschaft in der Sache über das Gutachten und dessen Inhalt unterrichtet zu werden.

Das Recht der Angehörigen bzw. ihres Rechtsvertreters auf Einsicht in das Gutachten und die Krankenunterlagen vor jeder Entscheidung der Staatsanwaltschaft im konkreten Fall war offensichtlich, genauso die entsprechende Verpflichtung der Staatsanwaltschaft, vor jeder Entscheidung den Angehörigen das Gutachten und die Krankenunterlagen zur Stellungnahme und zur Gelegenheit, auf die zukünftige Entscheidung der Staatsanwaltschaft Einfluss zu nehmen, zu gewähren. Nur diese Handhabung entspricht auch dem Rechtsstaatsprinzip.

f.)   Entsprechende Ausführungen gelten hinsichtlich der Entscheidung des Verfassers der Verfügung vom 8.1.2013 hinsichtlich der Verweigerung der sichergestellten Krankenakten. Die Krankenakten waren notwendiger Bestandteil der Ermittlungsakten und konnten von diesen, jedenfalls in Fotokopie, nicht getrennt werden. Sie waren auch notwendiger Bestandteil des Gutachtens, da das Gutachten überhaupt nicht verständlich war, ohne dass die Krankenakten zur Verfügung standen. Dies war Herrn Staatsanwalt M. bewusst, es ist geradezu ausgeschlossen, dass er das Gutachten auf Richtigkeit und Vollständigkeit ohne Beiziehung der Krankenunterlagen überprüft hat und überprüfen konnte.

Unter diesen Umständen verstößt der gesamte Verfahrensgang gegen die vorgenannte Verfassungsbestimmung.

g.)    Damit ergibt sich, dass der Staatsanwaltschaft Traunstein so schwere Verfassungsverstöße unterlaufen sind, dass jede weitere Tätigkeit der Staatsanwaltschaft Traunstein in dieser Sache unverzüglich unterbunden werden muss. Es ist zwingend, dass eine andere Staatsanwaltschaft, und zwar möglichst außerhalb Bayerns, die Sache weiter bearbeiten muss. Dies ergibt sich zwingend und ohne jede weitere Vermeidungsmöglichkeit aus dem letzten Absatz der Verfügung vom 8.1.2013, die wie folgt lautet:

Im Übrigen weise ich darauf hin, dass weitere Dienstaufsichtsbeschwerden von Ihnen gegen verfahrensbezogene Maßnahmen und Entscheidungen des Sachbearbeiters und damit zusammenhängende Befangenheitsanträge zwar noch geprüft, aber nicht mehr verbeschieden werden,  siehe Bescheid vom 25.7.2012, Az: 31 E – II 11/12.

Damit steht fest, dass den Rechtsmitteln der Dienstaufsichtsbeschwerde und der Befangenheitsanträge gegen den Sachbearbeiter durch Verweigerung von Bescheiden von vorne herein der Boden entzogen wird.
  
Während im Rechtsstaat das rechtliche Gehör und damit eine Bescheidung von Dienstaufsichtsbeschwerden und Befangenheitsanträgen zwingend vorgeschrieben ist, bekundet der Leiter der Staatsanwaltschaft Traunstein durch Oberstaatsanwalt Branz, dass die Angehörigen des Verstorbenen und ihr Rechtsvertreter keinen Anspruch auf rechtliches Gehör bei der Staatsanwaltschaft Traunstein mehr finden werden und damit ihnen gegenüber das Rechtsstaatsprinzip nicht gilt.

Dies kann nicht mehr hingenommen werden.
  
Mit freundlichen Grüßen


Dr. Ulrich Busch
                                                                                                    Rechtsanwalt

Dienstag, 22. Januar 2013

Historikerin Angelika Benz übt scharfe Kritik an Bayrischer Justiz


Historikerin Angelika Benz übt scharfe Kritik an Bayrischer Justiz

Die viel bejubelte nicht rechtkräftige Verurteilung von John Demjanjuk durch das Landgericht
München II stößt offensichtlich auf scharfen Widerspruch unter Historikern. Während
der Bayrische Rundfunk das Urteil als „historisch“ bezeichnete, übt ausgerechnet die
Historikerin Angelika Benz in dem Buch Bewachung und Ausführung – Alltag der Täter in
nationalsozialistischen Lagern – massive Kritik an der Bayrischen Justiz:

Zitat Benz, Seite 164:

… Die Anklageerhebung gegen John Demjanjuk sieht sich vor mehrfache Probleme
gestellt: Die juristische Feststellung einer Schuld verlangt den Nachweis einer
Einzeltat, die einer Täterschaft den Beweis einer inneren Motivation. Beides ist im
Fall Demjanjuks höchst schwierig und beides setzt auch eine Klärung historischer
Situationen voraus. Um Demjanjuk verurteilen zu können, war unter anderem zu
bewerten, ob Trawnikis, die in Vernichtungslagern eingesetzt gewesen waren, eine
Flucht möglich oder zumindest ein Fluchtversuch – angesichts der zu erwartenden
Strafen im Falle des Ergreifens – zumutbar gewesen wäre. Die Anklage stützte sich
hier auf einen fragwürdigen Begründungszusammenhang: Es seien derart viele
Trawniki-Männer geflohen, dass das Unterlassen eines Fluchtversuches ausreiche,
um von einer Freiwilligkeit des Angeklagten auszugehen. Außer Acht gelassen
wurde dabei, was unter Historikern unumstritten ist, nämlich dass die Situation
der „Trawnikis“ so einfach nicht zu beurteilen ist. Der Druck, unter dem die früheren
Rotarmisten standen, die kurz vor ihrer Rekrutierung in das Ausbildungslager noch
zur Vernichtung bestimmt waren, war groß. Einige wurden bei Fluchtversuchen
erschossen, und allen war zweifellos bewusst, dass ihr Leben an ihre Dienste für
die SS gekoppelt war. Ebenso verstellt es den Blick, wenn man die Trawniki als
homogene Gruppe betrachtet. Bereits die Frage, wie sie rekrutiert wurden, offenbart
Unterschiede:

Einige hatten sich freiwillig und in ideologischer Übereinstimmung mit den
deutschen Besatzern zur Verfügung gestellt, andere meldeten sich „freiwillig“, da
ihnen dies als einziger Weg erschien, ihr Leben zu retten. Wieder andere wurden
mit offener Gewalt zwangsrekrutiert. Eine der Situation angemessene juristische
Bewertung hätte also zunächst zu klären, was im Einzelfall zutrifft. Im Prozess gegen
John Demjanjuk jedoch griffen Anklage wie Verteidigung auf ein – jeweils anderes –
pauschales Bild „der Trawnikis“ zurück und legten es ihrer Beweisführung zugrunde,
ohne zuvor zu belegen, welchen Weg der hier vor Gericht Stehende genommen hatte
oder hatte nehmen müssen. Im Hintergrund des Prozesses spielte weiter eine Rolle,
das die bundesdeutsche Nachkriegsjustiz bei der Verfolgung und Bestrafung von NS-
Tätern zahlreiche Versäumnisse begangen hatte und das Gericht heute sich nicht dem
Vorwurf aussetzen wollte, erneut einen NS-Verbrecher ungeschoren oder mit einer
zu milden Strafe davonkommen zu lassen. Erschwerend kam dabei noch hinzu, dass
die Vorgesetzten Demjanjuks niemals zur Rechenschaft gezogen worden sind.

Zitat Benz, Seite 168 / 169:

Wichtige Fragen wurden nie geklärt, stattdessen standen sich unterschiedliche
Auffassungen und mitgebrachte Bilder unvereinbar gegenüber. Die Feststellung der
Täterschaft, für die das deutsche Recht einen Einzeltatnachweis fordert, kann im
Falle der Vernichtungslager nur äußerst selten erbracht werden. Opfer und Zeugen
sind ermordet worden, die Täter schweigen und nicht zuletzt: Taten und Tatverlauf
sind höchst komplex, die Täter gingen arbeitsteilig vor und standen auf
verschiedenen Hierarchiestufen. Welche Verantwortung im Prozess des Tötens John
Demjanjuk übernahm, welche Tathandlungen er konkret ausführte, an welchen
einzelnen Mordtaten er beteiligt war, welche Motive er für sein Handeln hatte,
musste offen bleiben. Denn der Angeklagte schwieg beharrlich. Sich seiner
mutmaßlichen Taten darüber anzunähern, welche Rolle die Trawnikis in den
Vernichtungslagern der Aktion Reinhardt konkret ausgeübt hatten, blieb ähnlich
unzureichend. Denn hier steht auch die Geschichtswissenschaft vor einer
unbeantworteten Frage. Das Münchener Landgericht hat im Falle Demjanjuk
geurteilt, dass Jeder, der Teil der Vernichtungsmaschinerie war, also Jeder, der im
Vernichtungslager Sobibor für die SS Dienst tat, sich zumindest der Beihilfe
schuldig gemacht habe. Damit verzichtete das Gericht auf den Nachweis konkreter
Einzeltaten und begründete dies mit dem ausschließlichen Daseinszweck des Lagers
Sobibor: Die Ermordung von Juden. Und jeder der dort Anwesenden oder
Beteiligten sei auf die eine andere Art mitschuldig. Eine eindeutige Beweislage also
gibt es nicht, dafür aber zwei Meinungen, von denen jeder ein klares Bild zeichnet,
das eine Schwarz, das andere Weiß. Für die Anklage ist John Demjanjuk ein
grausamer Massenmörder, für die Verteidigung ein wehrloses Opfer. Beide haben
nicht Unrecht, doch das Bild hat mehr Schattierungen: So gab es Trawniki-Männer,
die durch brutalen Sadismus auffielen und die zu ihrer Unterhaltung Juden zu Tode
quälten, andere dagegen halfen Juden, versorgten sie beispielsweise mit
Informationen über den Frontverlauf, wiederum andere flohen, in mindestens einem
Fall ist ein Selbstmord bekannt. Bei den meisten jedoch wissen wir nicht, ob Habgier
oder Überzeugung, Angst oder Zwang sie zu Hilfsarbeitern der Nazis machten. Was
bleibt, ist die naheliegende Gewissheit, dass auch dieser Prozess seinem Gegenstand
nicht gerecht werden konnte.

Es war unwahrscheinlich, dass überhaupt Kritik am Vorgehen der Bayrischen Justiz im Falle
Demjanjuk von dritter Seite geäußert und publiziert wird.

Es erstaunt nicht, dass beispielsweise die juristische Literatur zum Fall Demjanjuk und zum Urteil
des Landgerichts München II eisern schweigt. Die Furcht, bei kritischen Anmerkungen schnell in
den Verdacht eines Nazisympathisanten zu geraten, ist offensichtlich groß.

Umso erstaunlicher ist es, dass die Historikerin Benz mit ihren Ausführungen sich in erheblichem
Umfang die Argumentation der Verteidigung zu eigen macht, die in ihrem Schlusswort,
veröffentlich unter „Demjanjuk – Der Sündenbock“ die Unvereinbarkeit der gerichtlichen
Behauptungen mit der historischen Wahrheit und dem Landgericht München nachgewiesen hat,
dass es sich über die historische Wahrheit hinweggesetzt hat und eine eigene Wahrheit im Fall
Demjanjuk neu erfunden und an die Stelle der historischen Wahrheit gesetzt hat.

gez. Dr. Ulrich Busch
Rechtsanwalt

Donnerstag, 17. Januar 2013

Prozesslawine und Dammbruch


Pressemitteilung

Prozesslawine gegen deutsche Nazihelfer und Wehrmachtsangehörige bleibt aus

Fast 20 Monate nach dem bejubelten Fehlurteil des Landgerichts München II gegen John
Demjanjuk wird immer deutlicher, dass die werbewirksamen Ankündigungen von einer
kommenden Prozesslawine gegen deutsche Nazihelfer nichts weiter als leeres Gerede waren. Bis
heute gibt es keine Anklage, kein einziger Strafprozess ist in Gang gesetzt oder begonnen worden.
Die als „Dammbruch“ bezeichnete, dem Urteil gegen Demjanjuk zugrundeliegende Auffassung
von der Kollektivschuld von Wachleuten in Vernichtungslagern der Waffen-SS, verbunden mit
dem juristischen Verzicht auf einen individuellen Schuldnachweis gegen den Angeklagten, hat
bis heute keine Schule gemacht.

Damit scheint die Verteidigung von John Demjanjuk mit ihrem Hinweis Recht zu behalten, dass
die „neue Lehre“ – offensichtlich einer abgewandelten Erbschuldtheorie entlehnt – ausschließlich
und allein dazu aufgestellt wurde, um eine verfassungswidrige Einzelverfolgung von John
Demjanjuk und seine Verurteilung zu rechtfertigen. Schon das israelische höchste Strafgericht
hatte ausdrücklich festgestellt, dass man auch hinsichtlich Sobibor John Demjanjuk nicht
nachweisen könne, dass er an den deutschen Naziverbrechen dort beteiligt war.

Es zeichnet 10 Monate nach dem Tode von John Demjanjuk immer mehr ab, dass John
Demjanjuk nur deshalb trotz seines hohen Alters und seiner schweren Erkrankungen auf immer
von Ehefrau und Familie getrennt und nach Deutschland zwangsdeportiert wurde, um als
Bauernopfer für die Erhaltung der Ludwigsburger Zentralstelle zu dienen und Sündenbock für
deutsche Naziverbrechen zu sein.

Würde man die Lehre von der Kollektivschuld von Wachmännern wirklich anwenden, brächen in
der Tat alle Dämme. Denn die Nachkommen und Erben von 3,5 Mio. bestialisch durch deutsche
Soldaten und SS-Männer umgebrachten ukrainischen und russischen Rotarmisten würden von
Deutschland Wiedergutmachung fordern, die weit über ein Finanzvolumen von 50 Milliarden
Euro hinaus gingen.

Der Fall Demjanjuk zeigt mit großer Eindringlichkeit, dass die Ludwigsburger Zentralstelle keine
Aufgaben mehr hat und geschlossen werden muss.

70 Jahre nach Kriegsende kann es keinesfalls Aufgabe eines Rechtsstaates sein, in einem
ausgestorbenen Haifischbecken herum zu fischen und ein oder zwei dort noch schwimmende
Sprotten zu Killer-Haien aufzublähen.

Nicht einmal der Fall Demjanjuk konnte trotz eines Millionenaufwandes zu Ende geführt werden,
das Verfahren platzte infolge des Todes des Angeklagten. Er starb unschuldig und unverurteilt.
Es kann nicht Aufgabe eines Rechtsstaates sein, Strafverfolgung um ihrer selbst willen zu
betreiben, wenn man erkennt, dass weder Strafverfahren zu Ende geführt werden noch Urteile
einer Vollstreckung zugeführt werden können. Die mit der Schließung der Ludwigsburger Stelle
ersparten Mittel sind sinnvoller in einer Stiftung zur Linderung der Folgen der Verbrechen
Deutschlands im zweiten Weltkrieg angelegt. Auf das im Anhang beigefügte Schreiben vom
7.1.2013 und die Antwort des Leitenden Oberstaatsanwaltes Schrimm vom 14.1.2013 wird
ausdrücklich verwiesen.

gez. Dr. Ulrich Busch
Rechtsanwalt