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Samstag, 22. Juni 2013

Demjanjuk Akten: Top Secret

Der Fall wird immer mysteriöser

Die „Mutter aller Akten“, die Akte 1614 des sowjetischen KGB mit 1400 Seiten, wurde der Verteidigung von John Demjanjuk im Prozess vor dem Landgericht München II vorenthalten. Ergaben sich aus dieser Akte Hinweise auf eine Fälschung des angeblichen Dienstausweises 1393, gab es darin Beweise der Unschuld von Demjanjuk? Man mied jedenfalls die Akte wie der „Teufel das Weihwasser“. Alle Anträge der Verteidigung auf Beiziehung wurden „abgeschmettert“.

Jetzt, im Jahre 2013, mithin zwei Jahre nach Beendigung des Prozesses, stempeln die USA ihre Demjanjuk-Korrespondenz mit der Bundesrepublik und ihre Unterlagen

Top Secret.

Der Beweis ist der Bescheid des Auswärtigen Amtes vom 11.06.2013. Der Bescheid hat folgenden Wortlaut:

Auswärtiges Amt

Auswärtiges Amt, 11013 Berlin                                  HAUSANSCHRIFT
                                                                                 Werderscher Markt 1
Herrn                                                                         10117 Berlin
Rechtsanwalt
Dr. Ulrich Busch                                                         Postanschrift    
Sohlstättenstraße 121                                                 11013 Berlin      

40880 Ratingen                                                          Referat: 505-IFG

                                                                                  TEL + 49 (0)30 18-17-6070
                                                                                  FAX + 49 (0)30 18-17-53518

                                                                                  IFG-Anfragen@diplo.de
                                                                                  www.auswaertiges-amt.de

BETREFF  Informationsfreiheitsgesetz (IFG)
       HIER  Einreise und Strafverfahren gegen John Demjanjuk
    BEZUG 1. Ihre Anfrage vom 21.11.2011
                   2. Bescheid vom 12.01.2012; Gz.: siehe unten
                   3. Ihre Anfrage vom 12.04.2012
                   4. Bescheid vom 23.04.2012; Gz.: siehe unten
                   5. Ihr Schreiben vom 24.04.2013
           GZ  505-511.E-IFG 20111121404044
                   (bitte bei Antwort angeben)
                                                                                 Berlin, 11.06.2013           


Sehr geehrter Her Rechtsanwalt Dr. Busch
  
unter Bezugnahme auf Ihr Schreiben vom 24.04.2013 und die o. g. Anfrage auf Informationszugang nach dem Informationsfreiheitsgesetz des Bundes (IFG) ergeht in Ergänzung des Bezugbescheides zu 4. folgender

Bescheid:

Ein Anspruch auf Informationszugang zu den im Bezugsbescheid zu 2. unter den Nummern 1 und 2 genannten Unterlagen (Schreiben bzw. Informationen, um deren vertrauliche Behandlung die US-Seite explizit gebeten hat und Unterlagen, deren Urheber die US-Seite ist) nach § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG besteht nicht.

Begründung:

Die oben benannten Unterlagen können auf Grundlage des § 3 Nr. 1a IFG nicht herausgegeben werden, da dies zu einer Beeinträchtigung der bilateralen Beziehungen zu den USA bzw. der Zusammenarbeit mit den US-Behörden führen könnte.
Diese Ausnahme vom Grundsatz des Informationszugangs schützt das diplomatische Vertrauensverhältnis zu internationalen und europäischen Einrichtungen sowie ausländischen Saaten, das auch die Vertraulichkeit des Informationsaustauschs beinhaltet.

Diese Vorschrift räumt dem Auswärtigen Amt als informationspflichtiger Stelle einen weiten Beurteilungsspielraum in der Frage ein, was nachteilige Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen sind. Ein Nachteil ist dabei „was den außenpolitischen Zielen und der zu ihrer Erreichung verfolgten außenpolitischen Strategie abträglich ist. Wann eine Auswirkung auf die Beziehungen zu einem ausländischen Staat ein solches Gewicht hat, dass sie in diesem Sinne als Nachteil anzusehen ist, hängt (…) von der Einschätzung der Bundesregierung ab.“ (BVerwG, Urt. v. 29.10.2009 – 7 C 22/08 = NVwZ 2011, 321, 322).

Die Zusammenarbeit zwischen US-Amerikanischen und Deutschen Behörden ist auch im Bereich Recht und Strafverfolgung sehr eng und basiert auf einem lang gewachsenem gegenseitigem Vertrauen. Es ist Ziel der deutschen Außenpolitik, diese vertrauensvolle Zusammenarbeit mit unseren US-Amerikanischen Partnern weiterhin zu fördern und auszubauen.

Im Falle Ihrer Mandantin teilten uns die amerikanischen Behörden auf Nachfrage der deutschen Botschaft in Washington mit, dass der Herausgabe besagter Unterlagen nicht zugestimmt würde, da dadurch unter anderem die Verfahrensweisen der amerikanischen Strafverfolgung sowie die Identität vertraulicher Quellen offengelegt würden.

Die Preisgabe dieser vertraulichen Information entgegen dem ausdrücklichen Votum der amerikanischen Seite durch das Auswärtige Amt könnte das diplomatische Vertrauensverhältnis zu den USA nachhaltig stören, unter anderem auch weil dadurch Informationen „gleichsam offiziell“ (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.10.2009 – 7 C 22/08 = NVwZ 2011, 321. 323) bekannt gemacht würden.
  
Dieser Bescheid ergeht gebühren- und auslagenfrei.
  
Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag

Birgit Lietz

Ihre Rechte (Rechtsbehelfsbelehrung):

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch erhoben werden. Der Widerspruch ist schriftlich oder zur Niederschrift beim Auswärtigen Amt, Referat 505 (IFG), Werderscher Markt 1, 10117 Berlin, einzulegen. Wird der Widerspruch schriftlich erhoben, so gilt die Frist  nur gewahrt, wenn der Widerspruch vor Ablauf der Frist beim Auswärtigen Amt eingegangen ist.
  
Wird wirklich das diplomatische Vertrauensverhältnis zu den USA durch Zugang zu dem Schriftverkehr zwischen der USA und der Bundesrepublik Deutschland im Fall Demjanjuk nachhaltig gestört? Oder geht es um etwas ganz anderes?

Die USA hatten im Jahre 2008 Deutschland um Übernahme des angeblichen ehemaligen SS-Angehörigen John Demjanjuk ersucht, nachdem Polen zuvor Ende 2007 das Ermittlungs- und Strafverfahren gegen Demjanjuk wegen fehlender Beweise rechtskräftig eingestellt hat. Am 27.05. unterzeichneten MR Dr. Maaßen und MinR Dr. Romann eine Ministervorlage unter dem Aktenzeichen B3-645 355 II Demjanjuk zum Übernahmeersuchen der USA, worin es wörtlich heißt:

Eine rechtliche Verpflichtung, Herrn Demjanjuk von den USA zu übernehmen, besteht für die Bundesrepublik Deutschland nicht. Demjanjuk war nie deutscher Staatsangehöriger. Allein daraus, dass er Angehöriger der Waffen-SS war, ergibt sich keine Rückübernahmeverpflichung Deutschlands…

In der Vergangenheit hatte die Bundesregierung Übernahmeersuchen für Personen mit NS-Vergangenheit, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben, regelmäßig abgelehnt. Die US-Behörden hatten seit den 1990er Jahren wiederholt gegen den ausdrücklichen Willen der Bundesregierung diese Personen über Deutsche oder Europäische Flughäfen oder den Flughafen Ramstein nach Deutschland eingeschleust; zuletzt im September 2007 einen ehemaligen rumänischen Staatsangehörigen, der Angehöriger des SS-Wachregiments im Konzentrationslager Sachsenhausen war (vgl. Ministervorlage vom 24.09.2007 – Anlage 2).

Vor diesem Hintergrund ist Herr Demjanjuk auf Erlass des Referates B3 seit dem 23.05.2008 im Schengener-Informationssystem (SIS) zur Einreiseverweigerung durch das Bundespolizeipräsidium ausgeschrieben, um gegebenenfalls eine Einreise des Betroffenen mit einem US-amerikanischem Reisepass zu verhindern.
  
Votum

Es wird vorgeschlagen, dass Ersuchen der US-amerikanischen Behörden hinsichtlich der Übernahme des Herrn Demjanjuk durch die Bundesrepublik Deutschland abzulehnen und die Einreise in das Bundesgebiet unter Beibehaltung der Fahndungsausschreibung im SIS, unbefristet zu verweigern.

Diese Ministervorlage entsprach exakt der Rechts- und Gesetzeslage der Bundesrepublik Deutschland. Deutschland durfte den 89-jährigen schwerkranken Demjanjuk aufgrund der deutschen Rechtslage niemals von den USA übernehmen. Das genaue Gegenteil ist dann aber eingetreten. Die Gründe für diesen „Sinneswandel“ um 180 Grad dürften aus den nunmehr zu Geheimakten erklärten Demjanjuk-Papieren hervorgehen. Woher und warum dieser „Sinneswandel um 180 Grad“? Welche Rolle hat die Politik und die Exekutive bei der Frage gespielt, ob bzw. dass Demjanjuk erneut unter Verstoß gegen Deutsches Recht und Gesetz in Deutschland vor Gericht werden sollte? Das Legalitätsprinzip stand nie zur Verfügung, weil es sich nur auf Inländer bezieht. Dass Deutschland „moralisch verpflichtet“ gewesen sein soll, Demjanjuk von einem deutschem Gericht und von den Nachfahren des „Tätervolkes“ verurteilen zu lassen, hat mit dem Gesetz und dem Recht nichts gemein. Wo war im übrigen die Moral, als Ludwigsburg und alle deutschen Staatsanwaltschaften zehntausende von Deutschen SS-Wachleuten und zehntausende von Wehrmachtsangehörigen in KZ-Lagern, Vernichtungslagern und Kriegsgefangenenlagern still und heimlich amnestierte und eine Grosszahl der Nazibosse von Bundesdeutschen Gerichten freigesprochen wurden, wie der Chefkommandant und Ausbilder der Trawniki-Truppe, SS Hauptsturmführer Streibl?


Die jetzige erneute Sperrung wichtigster Demjanjuk Akten und Papiere als „Top Secret“ lässt befürchten, dass der Prozess gegen John Demjanjuk der erste „Politische Prozess“ in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland war.