Der Fall wird immer mysteriöser
Die „Mutter aller Akten“, die Akte 1614 des sowjetischen
KGB mit 1400 Seiten, wurde der Verteidigung von John Demjanjuk im Prozess vor
dem Landgericht München II vorenthalten. Ergaben sich aus dieser Akte Hinweise
auf eine Fälschung des angeblichen Dienstausweises 1393, gab es darin Beweise
der Unschuld von Demjanjuk? Man mied jedenfalls die Akte wie der „Teufel das
Weihwasser“. Alle Anträge der Verteidigung auf Beiziehung wurden „abgeschmettert“.
Jetzt, im Jahre 2013, mithin zwei Jahre nach Beendigung
des Prozesses, stempeln die USA ihre Demjanjuk-Korrespondenz mit der
Bundesrepublik und ihre Unterlagen
Top Secret.
Der Beweis ist der Bescheid des Auswärtigen Amtes vom
11.06.2013. Der Bescheid hat folgenden Wortlaut:
Auswärtiges Amt
Auswärtiges Amt, 11013 Berlin HAUSANSCHRIFT
Werderscher
Markt 1
Herrn 10117
Berlin
Rechtsanwalt
Dr. Ulrich Busch Postanschrift
Sohlstättenstraße 121 11013
Berlin
40880 Ratingen Referat: 505-IFG
TEL
+ 49 (0)30 18-17-6070
FAX + 49 (0)30 18-17-53518
BETREFF Informationsfreiheitsgesetz
(IFG)
HIER Einreise und Strafverfahren gegen John
Demjanjuk
BEZUG 1. Ihre Anfrage vom 21.11.2011
2. Bescheid vom
12.01.2012; Gz.: siehe unten
3. Ihre Anfrage
vom 12.04.2012
4. Bescheid vom
23.04.2012; Gz.: siehe unten
5. Ihr
Schreiben vom 24.04.2013
GZ 505-511.E-IFG 20111121404044
(bitte
bei Antwort angeben)
Sehr geehrter Her Rechtsanwalt Dr.
Busch
unter Bezugnahme auf Ihr Schreiben
vom 24.04.2013 und die o. g. Anfrage auf Informationszugang nach dem
Informationsfreiheitsgesetz des Bundes (IFG) ergeht in Ergänzung des
Bezugbescheides zu 4. folgender
Bescheid:
Ein Anspruch auf Informationszugang
zu den im Bezugsbescheid zu 2. unter den Nummern 1 und 2 genannten Unterlagen
(Schreiben bzw. Informationen, um deren vertrauliche Behandlung die US-Seite
explizit gebeten hat und Unterlagen, deren Urheber die US-Seite ist) nach § 1
Abs. 1 Satz 1 IFG besteht nicht.
Begründung:
Die oben benannten Unterlagen
können auf Grundlage des § 3 Nr. 1a IFG nicht herausgegeben werden, da dies zu
einer Beeinträchtigung der bilateralen Beziehungen zu den USA bzw. der
Zusammenarbeit mit den US-Behörden führen könnte.
Diese Ausnahme vom Grundsatz des
Informationszugangs schützt das diplomatische Vertrauensverhältnis zu
internationalen und europäischen Einrichtungen sowie ausländischen Saaten, das
auch die Vertraulichkeit des Informationsaustauschs beinhaltet.
Diese Vorschrift räumt dem
Auswärtigen Amt als informationspflichtiger Stelle einen weiten
Beurteilungsspielraum in der Frage ein, was nachteilige Auswirkungen auf die
internationalen Beziehungen sind. Ein Nachteil ist dabei „was den außenpolitischen Zielen und der zu ihrer Erreichung verfolgten
außenpolitischen Strategie abträglich ist. Wann eine Auswirkung auf die
Beziehungen zu einem ausländischen Staat ein solches Gewicht hat, dass sie in
diesem Sinne als Nachteil anzusehen ist, hängt (…) von der Einschätzung der
Bundesregierung ab.“ (BVerwG, Urt. v. 29.10.2009 – 7 C 22/08 = NVwZ 2011,
321, 322).
Die Zusammenarbeit zwischen
US-Amerikanischen und Deutschen Behörden ist auch im Bereich Recht und
Strafverfolgung sehr eng und basiert auf einem lang gewachsenem gegenseitigem
Vertrauen. Es ist Ziel der deutschen Außenpolitik, diese vertrauensvolle
Zusammenarbeit mit unseren US-Amerikanischen Partnern weiterhin zu fördern und
auszubauen.
Im Falle Ihrer Mandantin teilten
uns die amerikanischen Behörden auf Nachfrage der deutschen Botschaft in
Washington mit, dass der Herausgabe besagter Unterlagen nicht zugestimmt würde,
da dadurch unter anderem die Verfahrensweisen der amerikanischen
Strafverfolgung sowie die Identität vertraulicher Quellen offengelegt würden.
Die Preisgabe dieser vertraulichen
Information entgegen dem ausdrücklichen Votum der amerikanischen Seite durch
das Auswärtige Amt könnte das diplomatische Vertrauensverhältnis zu den USA
nachhaltig stören, unter anderem auch weil dadurch Informationen „gleichsam offiziell“ (vgl. BVerwG, Urt.
v. 29.10.2009 – 7 C 22/08 = NVwZ 2011, 321. 323) bekannt gemacht würden.
Dieser Bescheid ergeht gebühren-
und auslagenfrei.
Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Birgit Lietz
Ihre Rechte
(Rechtsbehelfsbelehrung):
Gegen diesen Bescheid kann
innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch erhoben werden. Der
Widerspruch ist schriftlich oder zur Niederschrift beim Auswärtigen Amt,
Referat 505 (IFG), Werderscher Markt 1, 10117 Berlin, einzulegen. Wird der
Widerspruch schriftlich erhoben, so gilt die Frist nur gewahrt, wenn der Widerspruch vor Ablauf
der Frist beim Auswärtigen Amt eingegangen ist.
Wird wirklich das diplomatische Vertrauensverhältnis zu
den USA durch Zugang zu dem Schriftverkehr zwischen der USA und der
Bundesrepublik Deutschland im Fall Demjanjuk nachhaltig gestört? Oder geht es
um etwas ganz anderes?
Die USA hatten im Jahre 2008 Deutschland um Übernahme des
angeblichen ehemaligen SS-Angehörigen John Demjanjuk ersucht, nachdem Polen
zuvor Ende 2007 das Ermittlungs- und Strafverfahren gegen Demjanjuk wegen
fehlender Beweise rechtskräftig eingestellt hat. Am 27.05. unterzeichneten MR
Dr. Maaßen und MinR Dr. Romann eine Ministervorlage unter dem Aktenzeichen
B3-645 355 II Demjanjuk zum Übernahmeersuchen der USA, worin es wörtlich heißt:
Eine
rechtliche Verpflichtung, Herrn Demjanjuk von den USA zu übernehmen, besteht
für die Bundesrepublik Deutschland nicht. Demjanjuk war nie deutscher
Staatsangehöriger. Allein daraus, dass er Angehöriger der Waffen-SS war, ergibt
sich keine Rückübernahmeverpflichung Deutschlands…
In der
Vergangenheit hatte die Bundesregierung Übernahmeersuchen für Personen mit
NS-Vergangenheit, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben, regelmäßig
abgelehnt. Die US-Behörden hatten seit den 1990er Jahren wiederholt gegen den
ausdrücklichen Willen der Bundesregierung diese Personen über Deutsche oder
Europäische Flughäfen oder den Flughafen Ramstein nach Deutschland
eingeschleust; zuletzt im September 2007 einen ehemaligen rumänischen
Staatsangehörigen, der Angehöriger des SS-Wachregiments im Konzentrationslager
Sachsenhausen war (vgl. Ministervorlage vom 24.09.2007 – Anlage 2).
Vor diesem
Hintergrund ist Herr Demjanjuk auf Erlass des Referates B3 seit dem 23.05.2008
im Schengener-Informationssystem (SIS) zur Einreiseverweigerung durch das
Bundespolizeipräsidium ausgeschrieben, um gegebenenfalls eine Einreise des
Betroffenen mit einem US-amerikanischem Reisepass zu verhindern.
Votum
Es wird vorgeschlagen, dass Ersuchen der US-amerikanischen Behörden
hinsichtlich der Übernahme des Herrn Demjanjuk durch die Bundesrepublik
Deutschland abzulehnen und die Einreise in das Bundesgebiet unter Beibehaltung
der Fahndungsausschreibung im SIS, unbefristet zu verweigern.
Diese Ministervorlage entsprach exakt der Rechts- und Gesetzeslage
der Bundesrepublik Deutschland. Deutschland durfte den 89-jährigen
schwerkranken Demjanjuk aufgrund der deutschen Rechtslage niemals von den USA
übernehmen. Das genaue Gegenteil ist dann aber eingetreten. Die Gründe für diesen
„Sinneswandel“ um 180 Grad dürften aus den nunmehr zu Geheimakten erklärten
Demjanjuk-Papieren hervorgehen. Woher und warum dieser „Sinneswandel um 180
Grad“? Welche Rolle hat die Politik und die Exekutive bei der Frage gespielt,
ob bzw. dass Demjanjuk erneut unter Verstoß gegen Deutsches Recht und Gesetz in
Deutschland vor Gericht werden sollte? Das Legalitätsprinzip stand nie zur
Verfügung, weil es sich nur auf Inländer bezieht. Dass Deutschland „moralisch
verpflichtet“ gewesen sein soll, Demjanjuk von einem deutschem Gericht und von
den Nachfahren des „Tätervolkes“ verurteilen zu lassen, hat mit dem Gesetz und
dem Recht nichts gemein. Wo war im übrigen die Moral, als Ludwigsburg und alle
deutschen Staatsanwaltschaften zehntausende von Deutschen SS-Wachleuten und
zehntausende von Wehrmachtsangehörigen in KZ-Lagern, Vernichtungslagern und
Kriegsgefangenenlagern still und heimlich amnestierte und eine Grosszahl der
Nazibosse von Bundesdeutschen Gerichten freigesprochen wurden, wie der
Chefkommandant und Ausbilder der Trawniki-Truppe, SS Hauptsturmführer Streibl?
Die jetzige erneute Sperrung wichtigster Demjanjuk Akten
und Papiere als „Top Secret“ lässt befürchten, dass der Prozess gegen John
Demjanjuk der erste „Politische Prozess“ in der Nachkriegsgeschichte der
Bundesrepublik Deutschland war.
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