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Samstag, 30. März 2019

Menschenrechtsbeschwerde Demjanjuk Update - Deutsch



In der Menschenrechtsbeschwerde
Demjanjuk ./. Deutschland
Beschwerde-Nr. 24247/15

nehme ich Bezug auf das Urteil der 5. Sektion des Gerichtshofes und beantrage im Namen und in Vollmacht der Beschwerdeführer gegen das Urteil:

1. Die Rechtssache Demjanjuk gegen Deutschland – Beschwerde-Nr. 24247/15 – wird an die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte verwiesen.

2. Unter Aufhebung des Urteils der 5. Sektion des Europäischen Gerichtshofes wird der Menschenrechtsbeschwerde stattgegeben und festgestellt, dass die Entscheidungen des LG München vom 5.4.2012 sowie die des OLG München vom 4.10.2012 gegen Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 der Menschenrechtskonvention verstoßen.

3. Den Beschwerdeführern wird eine angemessene Entschädigung in Geld gewährt.

B e g r ü n d u n g:

Die Rechtssache Demjanjuk gegen Deutschland wirft sowohl schwerwiegende Fragen der Auslegung und Anwendung der Konvention als auch eine schwerwiegende Frage von allgemeiner Bedeutung auf.

Im Einzelnen gilt Folgendes:

1. Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK.

In der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 24.1.2019 wird die Entscheidung des OLG München vom 4.10.2012 diskutiert. Zutreffend stellt die 5. Sektion fest, dass das OLG München die Beschwerde gegen die Entscheidung als unzulässig verworfen hat.  Das OLG München behauptete, das Recht der Beschwerdeführung im Strafprozess stünde höchstpersönlich nur dem Angeklagten zu und gehe mit dem Tod des Angeklagten unter. Weder die Ehefrau noch die Kinder noch der Verteidiger hätten irgendeine Rechtsposition, die es erlaube, Beschwerde gegen den Beschluss des LG München zu erheben. Das OLG baute mit seiner Entscheidung eine unüberwindbare Rechtswegsperre der Ehefrau, der Kinder, der Erben und der Prozessbeteiligten auf, die unüberwindbar ist und zur Unanfechtbarkeit der erstinstanzlichen Entscheidung führt.

Diese Rechtsauffassung des OLG, nämlich eine absolute Rechtswegsperre aufzubauen, verstößt eindeutig gegen Art. 6 Abs. 1 der Konvention, weil die Garantie des Rechtsweges und damit die Garantie des Zugangs zu den Gerichten in Art. 6 Abs. 1 als unverzichtbares Fundamentalrecht der gesamten Menschenrechtskonvention geschützt wird. Wer, wie das OLG München es tut, sehenden Auges und unter bewusstem Verstoß und unter Inkaufnahme des Verstoßes gegen die ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes wider besseres Wissen über die wahre Rechtslage den Rechtsweg versperrt, greift zentral und fundamental die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Völkergemeinschaft an. Das OLG München kannte die mit seiner Auffassung unvereinbare Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes in vollem Umfang. Es kannte die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in der Sache Nölkenbockhoff zu Art. 6 Abs. 1 EMRK. Gleichwohl, anstatt diese eindeutige und klare und unverrückbaren Rechtslage, an die die Richter des OLG München strikt gebunden waren, zu befolgen, lehnten sie sich gegen diese für die Rechtsordnung alles entscheidende fundamentale Regelung auf und sperrten den Beschwerdeführern aus Gründen außerhalb des Rechts jeden Zugang zu Gericht.

Angesichts der Schwere und Vorsätzlichkeit des Verstoßes gegen Fundamentalvorschriften des Europäischen und bundesdeutschen Rechtes kann es eine Rechtfertigung solcher Verstöße und eine Hinnahme solcher Verstöße nur dann geben, wenn Art. 6 EMRK selbst Ausnahmen vorsieht, die die Hinnahme der Rechtswegsperre vorsehen. In Art. 6 wird eine solche Ausnahme an keiner Stelle genannt. Angesichts der Unverzichtbarkeit des Zugangs zu den Gerichten kann auch sonst keine Ausnahme, die eine Rechtswegsperre im Rechtsstaat erlaubt, denkbar sein. Die durch Art. 19 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 EMRK normierte Rechtsweggarantie ist von so überragender Bedeutung für jede Rechtsordnung, dass Ausnahmen hiervon schlechterdings nicht denkbar sind.

Die 5. Sektion verstößt mit ihrem Weg und ihrer Begründung auf Seite 6 und 7 der Entscheidung zentral gegen diese Bedeutung und gegen dieses Verständnis von Art. 6 Abs. 1 EMRK. Sie stellt die falsche Behauptung auf, dass das OLG die Beschwerde der Beschwerdeführer in der Sache überprüft und ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 nicht festgestellt habe. Das OLG habe die Beschwerde für unbegründet erklärt. Daraus folge, dass das Recht auf Zugang zum Gericht nur in der Theorie, nicht aber in der Praxis verletzt worden sei.

Diese Argumentation ist mit dem Wortlaut und dem Tenor des Beschlusses des OLG München unvereinbar.

Die 5. Sektion des Europäischen Gerichtshofes behauptet, die Entscheidung des OLG vom 4.10.2012 habe folgenden Tenor:

It follows that the court of appeal examined and dismissed the claim in substance.

Diese Behauptung der 5. Sektion des Europäischen Gerichtshofes ist in jeder Hinsicht falsch. Für den Inhalt, den Umfang und das Ausmaß der Entscheidung des OLG kommt es entscheidend auf den Tenor des Beschlusses vom 4.10.2012 an. Es heißt im Beschluss des OLG München ausdrücklich:

Die sofortige Beschwerde des Rechtsanwaltes Dr. Ulrich Busch namens des früheren Angeklagten, namens dessen Witwe Vera Demjanjuk und dessen Sohn John Demjanjuk jun. gegen den Beschluss des LG München II vom 5.4.2012 wird als unzulässig verworfen.

Der Tenor der Entscheidung wächst in Rechtskraft. Der Tenor der Entscheidung des OLG ist die zentral und fundamental gegen die Europäische Rechtsordnung verstoßende Rechtswegsperre.

Der Tenor der Entscheidung des OLG München enthält kein Wort über die Unbegründetheit der Beschwerde der Beschwerdeführer.

Richtig ist zwar, dass sich die Entscheidung des OLG vom 4.10.2012 auch mit der Frage beschäftigt, ob die Entscheidung des LG Art. 6 Abs. 2 EMRK verletzt. Hierüber verhält sich der Beschluss des OLG beginnend ab Ziffer 3 seines Beschlusses auf Seite 5. Das OLG beginnt seine Befassung mit Art. 6 Abs. 2 EMRK mit folgender Einleitung:

 Ergänzend merkt der Senat an, dass die Entscheidung des LG Art. 6 Abs. 2 EMRK nicht verletzt.

Damit stellt der Senat selbst klar, dass er mit seinen Ausführungen ab Seite 5 Ziffer 3 eine Anmerkung macht, nicht aber eine Entscheidung trifft. Es handelt sich eindeutig rechtlich gesehen um ein obiter dictum, die Äußerung einer unverbindlichen Rechtsansicht, die die Entscheidung und Entscheidungsgründe nicht trägt. Diese Rechtsansicht kann ohne Weiteres hinweg gedacht werden, ohne dass die Entscheidung und die Entscheidungsgründe, die für die Entscheidung maßgeblich waren, in Wegfall geraten. Keinesfalls darf und durfte die 5. Sektion die Behauptung aufstellen, es handele sich um eine juristisch bestandskräftige Entscheidung in der Sache.

Die 5. Sektion des Europäischen Gerichtshofes verstößt somit mit ihrer Vorgehensweise gegen fundamentale juristische Auslegungsprinzipien, die der Rechtsordnung und auch Art. 6 EMRK zugrundeliegen. Ein obiter dictum unterliegt nicht den strengen Regeln einer Entscheidungsfindung und wird aus einer völlig unverbindlichen, für die Entscheidung hinweg denkbaren und nebenher bemerkten Rechtsansicht entwickelt.

Die 5. Sektion des Europäischen Gerichtshofes konnte und durfte das obiter dictum des OLG zu Art. 6 Abs. 2 nicht der Beurteilung des Vortrages über den Verstoß der Entscheidung des LG und des OLG gegen Art. 6 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 EMRK zugrundelegen. Mit der Entscheidung des OLG, den Beschwerdeführern der Rechtsweg unzulässig zu versperren, hatten die Richter sich endgültig festgelegt und endgültig in denkbar schwerster Weise gegen das Gesetz verstoßen. Sie wussten, dass ihre gegenüber den Beschwerdeführern verhängte Rechtswegsperre fundamentalen Menschenrechten zuwider lief. Ihre Anmerkung, das LG München habe mit seiner Entscheidung vom 5.4.2012 nicht gegen Art. 6 Abs. 2 EMRK verstoßen, sollte den Fundamentalverstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK nur kaschieren. Es ist völlig ausgeschlossen, dass Richter, die gegen das Gesetz einem Antragsteller den Rechtsweg versperren, anschließend die Auffassung vertreten, in der Sache hätten die Beschwerdeführer allerdings Recht gehabt.

Die vom OLG geäußerte Rechtsaufassung zu Art. 6 Abs. 2 war für die Richter die zwingende Folge aus ihrem Rechtsverstoß der Versperrung des Rechtsweges und gleichzeitig die einzige Möglichkeit der Kaschierung dieses Rechtsverstoßes.

Mit der Äußerung des obiter dictum sollte die beschlossene Rechtswegsperre vertieft und endgültig gemacht werden. Das obiter dictum ist somit nicht Rechtsprechung, sondern die Verhinderung von Rechtsprechung. Dies verkennt die 5. Sektion des Europäischen Gerichtshofes vollständig.

2. Verstoß gegen. Art. 6 Abs. 2.

a.) Mit seinen Ausführungen zu Art. 6 Abs. 2 verstößt die 5. Sektion sowohl gegen das deutsche Recht als auch gegen Wortlaut und Sinn des Art. 6 Abs. 2 EMRK und wirft somit eine schwerwiegende Frage der Auslegung und Anwendung der Konvention auf. Soweit die 5. Sektion in ihrer Entscheidung die Grundsätze der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes – 2 BvR 1542/90 – zu übernehmen behauptet verstößt die 5. Sektion sowohl gegen das deutsche Recht als auch gegen den Grundsatz des Art. 6 Abs. 2 EMRK. Art. 6 Abs. 2 EMRK enthält eine unverzichtbare Fundamentalgarantie, dass nämlich jedermann solange als unschuldig gilt, bis er rechtskräftig verurteilt ist. Erst die Rechtskraft eines Urteils widerlegt die Unschuldsvermutung, die bis dahin unwiderlegbar ist. Folglich muss sowohl nach europäischem Recht als auch nach deutschem Recht zur Durchsetzung der Unschuldsvermutung  jede Einstellungsentscheidung eines jeden Gerichtes im europäischen Rechtsraum zumindest die unverzichtbare Klarstellung enthalten, dass der Angeklagte oder der verstorbene Angeklagte weiterhin als unschuldig zu gelten hat bzw. unschuldig ist. Dies ist unverzichtbarer Inhalt und unverzichtbare Folge der Unschuldsvermutung. Es kann nicht angehen, dass diese Klarstellung durch unglückliche Formulierungen verwässert oder sogar vernebelt wird. Die Einstellungsentscheidung bei Auftreten eines unüberwindbaren Verfahrenshindernisses kann in ihrem Wortlaut nicht einer Interpretation von Richtergremien oder Richterzirkeln überlassen bleiben, sondern muss so gefasst sein, dass das deutsche bzw. europäische Volk jederzeit und glasklar das Fortbestehen der Unschuld des ehemals Angeklagten aus der Entscheidung entnehmen kann und akzeptieren muss. Es ist nicht Aufgabe von Richtergremien, sich untereinander zu verständigen, dass sie die Unschuldsvermutung beachten, vielmehr ist es Aufgabe des Richters, dem Volk klar, eindeutig und unzweifelhaft mitzuteilen, dass der Angeklagte weiterhin unschuldig ist. Das Bekenntnis des Gerichtes zur Unschuld des Angeklagten vor Rechtskraft einer Verurteilung gehört zu den absoluten und unverzichtbaren Essentials des Rechtsstaates.  Die angegriffene Entscheidung des LG München enthält keinerlei Bekenntnis zur Unschuld des verstorbenen Angeklagten. Das OLG München verliert mit keinem Wort etwas über die Unschuld des verstorbenen Angeklagten. Beide Gerichte haben nichts anderes im Sinn, als die fortbestehende Unschuld des Mandanten zu vernebeln und vor dem Rechtspublikum zu verstecken, um nicht die objektive Sinnlosigkeit des gegen den verstorbenen Angeklagten geführten Prozesses zugeben zu müssen. In diesem Zusammenhang ist es richtig, zu wissen, was ein maßgeblicher Strafrechtler über die Entscheidung der 5. Sektion denkt.

Es heißt in der Ausgabe Legal Tribune Online vom 24.1.2019 um 19.53 Uhr:

Strafrechtler: Kein Resümieren über Schuld nach dem Tod.

Prof. Dr. Martin Heger, Lehrstuhlinhaber für Strafrecht an der Humboldt Universität zu Berlin, sieht die EGMR Entscheidung skeptisch. Die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK verbietet es grundsätzlich, die Kosten auf die Seite der Hinterbliebenen abzuwälzen, zumindest dann, wenn die Entscheidung nur an einen Verdacht und nicht an eine Schuld des Angeklagten anknüpfen kann. Ein Gericht dürfe nicht nach dem Tod des Angeklagten weiter über seine Schuld resümieren.
Anders läge es, wenn zum Toddeszeitpunkt etwa nur  noch formale, technische Fragen der Revision offen wären. Konkret etwa, wenn der Beschluss schon formuliert gewesen wäre, es aber nicht mehr zur Verkündung und Übersendung am nächsten Tag komme, weil der Angeklagte in der Nacht verstirbt. Aus Hegers Sicht könne das Problem auch nicht durch eine Art Prognose, die nach dem Todesfall die Erfolgsaussichten der Revision abschätzt, gelöst werden: „Sobald die Schuldfrage berührt ist, geht das nicht“, mein Heger. Eine Prognose über den Ausgang der Revision hätte in dem konkreten Fall von Demjanjuk kaum Ansatzpunkte gehabt, die Akten hatten den BGH noch nicht erreicht, als er verstarb.

b.) Die 5. Sektion des Europäischen Gerichtshofes beanstandet nicht, dass trotz Eingang der Revision im November 2011 die Revision bis zum Todestag des Angeklagten noch nicht dem Bundesgerichtshof und damit dem zuständigen Revisionsgericht zugeleitet wurde. Die 5. Sektion erkennt die Verfahrensweise des LG München für zulässig und macht die Verteidigung dafür verantwortlich, die noch mehrere Schriftsätze bis kurz vor dem Tod des Angeklagten nachgereicht habe.

Es ist offensichtlich, dass bei der Beurteilung dieser Frage die 5. Sektion das zwingende deutsche Recht beachten musste und nicht eine eigene neue Strafprozessordnung für das LG München, wie hier geschehen in Ziffer 39 der Entscheidung, entwerfen konnte. § 347 StPO lautet eindeutig:

Ist die Revision rechtzeitig eingelegt und sind die Revisionsanträge rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form angebracht, so ist die Revisionsschrift dem Gegner des Beschwerdeführers zuzustellen. Diesem steht frei, binnen einer Woche eine schriftliche Gegenerklärung einzureichen. Der Angeklagte kann letztere auch zu Protokoll der Geschäftsstelle abgeben. Nach Eingang der Gegenerklärung oder nach Ablauf der Frist sendet die Staatsanwaltschaft die Akten an das Revisionsgericht.

Danach war es zwingendes deutsches Recht, dass die Revisionsbegründung spätestens im Dezember beim Bundesgerichtshof vorlag. Es war der Verteidigung nicht verboten, weitere Schriftsätze nachzuschieben, dies konnten 5, 10, 20 oder 100 sein. Die Pflichten des § 347 StPO waren ausschließlich an den Eingang der Revisionsanträge in der vorgeschriebenen Form gebunden. Nach einer Woche bzw. nach Eingang der schriftlichen Gegenerklärung binnen einer Woche waren die Revisionsanträge dem Revisionsgericht vorzulegen ohne Wenn und Aber und ohne Rücksicht auf spätere Schriftsätze jedweder Art.

Indem die Revisionsanträge dem Revisionsgericht nicht weitergeleitet wurden, sondern bis zum Todestag, somit über mehrere Monate in München gehortet wurden, wurde dem Angeklagten der Rechtsweg zum Revisionsgericht versperrt, ein weiterer Verstoß gegen Art. 6 EMRK.

c.) Soweit die 5. Sektion des Europäischen Gerichtshofes die Entscheidung des LG München vom 12.4.2012 erörtert, durfte diese Entscheidung nicht nur an $ 467 Abs. 3 gemessen werden, sondern vor allen Dingen an § 467 Abs. 1 StPO. In dieser Vorschrift heißt es:

Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.

Zwingend in der Entscheidung des LG war somit, über sämtliche Auslagen, die mit dem Verfahren verbunden waren, zu entscheiden. Diese Entscheidung musste Inhalt des Tenors der Entscheidung des LG München vom 5.4.2012 sein. Das LG München musste nach § 467 Abs. 1 zwingend entscheiden:

„1. Das Verfahren wird eingestellt. Die Auslagen des Verfahrens trägt die Staatskasse.

2. …

Das LG hat die zwingende Entscheidung über die Auslagen des Verfahrens weggelassen und diese der Staatskasse nicht aufgebürdet.

Die Motivation für dieses Unterlassen ist offensichtlich. Das LG wollte unter allen Umständen vermeiden, dass der Einstellungsbeschluss im Widerspruch zum vom Gericht im Jahre 2011 verhängten Schuldspruch mit Auferlegung der Kosten des Verfahrens auf den Angeklagten stehen sollte. Gerade die Auslassung dieser zwingenden Entscheidung nach § 467 Abs. 1 StPO sollte den Schuldspruch verstärken und bestätigen. Wäre es nämlich zu einer Überbürdung der Auslagen auf die Staatskasse nach § 467 Abs. 1 im Beschluss gekommen, hätte die Öffentlichkeit, zumindest die sachverständige Öffentlichkeit gesehen, dass die Einstellungsverfügung die Unschuld des Angeklagten endgültig festschrieb und der  Schuldspruch des Urteils aus 2011 keine Bedeutung hatte.

Das wollte das LG unter allen Umständen vermeiden. Ganz gleich steht es mit der vom BGH verlangten Pflicht des LG, bei Untersuchungshaft auch über Entschädigung des Angeklagten für erlittene Untersuchungshaft in einer solchen Einstellungsentscheidung zu entscheiden. Auch dies musste in jedem Falle vermieden werden, weil man mit der Entscheidung vom 5.4.2012 den Anschein einer rechtskräftigen Schuldfeststellung des Angeklagten und eine Sinnhaftigkeit des Prozesses insgesamt bestärken wollte.

Allein die vom LG vorgenommenen Auslassungen, Entscheidung über die kosten und der Entschädigung für erlittene Untersuchungshaft, beweisen die Intention des LG unter Aushebelung der Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 das Verfahren und den Schuldspruch des Angeklagten zu rechtfertigen und rechtlich zu zementieren.

d.) Die deutschen Rechtsgrundlagen für die Beurteilung der Entscheidung der 5. Sektion sind andere, als sie noch zur Zeit der Entscheidung des Gerichtshofes in Sachen Nölkenbockhoff gegen Deutschland, Beschwerde-Nr. 10300/83 waren. Im Gegensatz zur damaligen Rechtslage sind zwingend eine formelle Einstellungsentscheidung und eine Entscheidung über die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen sowie über eine Entschädigung für erlittene Untersuchungshaft vorgeschrieben. Im Zeitpunkt der Entscheidung Nölkenbockhoff gegen Deutschland wurde das Verfahren dagegen nur tatsächlich, nicht aber durch formelle Entscheidung eingestellt. Wie bereits ausgeführt, beweist schon der an sich gegen das Gesetz verstoßende unvollständige Beschluss des LG München den Verstoß gegen die Unschuldsvermutung, indem es sowohl davon absieht, die Kosten des Verfahrens der Staatskasse formell aufzulegen als auch darüber zu entscheiden, ob und gegebenenfalls dass eine Entschädigung für den verstorbenen Angeklagten für die zweijährige Untersuchungshaft in Frage kam. Diese Auslassungen zeigen ganz deutlich, dass der formelle Beschluss entgegen dem Gesetz verhindern wollte, dass der verstorbene Angeklagte weiterhin nach dem Gesetz als unschuldig gelten musste und ihm dies auch entsprechend bestätigt werden musste, indem darauf hingewiesen wurde, dass der Beschluss ausschließlich von einem Verdacht gegen den Angeklagten ausgehen dürfe, weil der Angeklagte die ihm zustehenden Rechte in der Revisionsinstanz nicht mehr ausüben konnte. Auch für diese Fälle greift die Unschuldsvermutung in vollem Umfange und in voller Geltung, ohne irgendeine Abschwächung zu erfahren.

In diesem Zusammenhang ist ferner darauf hinzuweisen, dass die 5. Sektion mit ihrer Übernahme des obiter dictums des OLG direkt gegen den Beschluss vom 25.8.1987 in Sachen Nölkenbockhoff gegen Deutschland verstößt. In dem Beschluss hat der Europäische Gerichtshof klargestellt, dass die Entscheidungsgründe vom Entscheidungstenor nicht zu trennen sind. Es wird auf Randziffer 37 der Entscheidungsgründe in Sachen Nölkenbockhoff gegen Deutschland ausdrücklich verwiesen, wo es heißt: 

Eine Entscheidung, die die Entschädigung für erlittene Untersuchungshaft und die Erstattung der notwendigen Auslagen eines Angeklagten (oder seiner Erben) nach Einstellung des Verfahrens ablehnt, kann dennoch ein Problem nach Art. 6 Abs. 2 aufwerfen, wenn die Entscheidungsgründe, die vom Tenor nicht getrennt werden können, im Kern einer Entscheidung über die Schuld des Angeklagten gleichkommen, ohne dass eine Schuld zuvor in der gesetzlich vorgeschriebenen Form nachgewiesen wurde und insbesondere, ohne dass er seine Verteidigungsrechte wahrnehmen konnte.

Aus diesen Grundsätzen ergibt sich ohne Weiteres, dass die Behauptung der 5. Sektion, das OLG habe die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen (dismissed), in jeder Beziehung unhaltbar ist. Der Tenor – unzulässig – kann nicht mit dem Argument der Unbegründetheit gerechtfertigt werden.

Es bleibt bei dem nicht zu leugnenden Faktum, dass das OLG entgegen der ihm bekannten, das OLG selbst bindenden Rechtsprechung, gegen die Beschwerdeführer eine Rechtswegsperre verhängt hat und damit endgültig und umfassend gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK verstoßen hat.

e.) Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Deutschland stellt die Versagung des Auslagenersatzes keine Strafe oder strafähnliche Sanktion dar und widerspricht insofern nicht der auch nach deutschem Recht geschützten verfassungsrechtlichen Unschuldsvermutung, solange sich die Entscheidung über die Auslagenerstattungen auf Erwägungen

zum Tatverdacht stützt und ihre Begründung keine gerichtliche Schuldfeststellung oder Zuweisung enthält.

Vgl. Bundesverfassungsgericht Band 82, Seite 106, Seite 119, ferner Bundesverfassungsgericht 2 BvR 386/04 vom 2.4.2004.

Die verfassungsrechtlich geschützte Unschuldsvermutung des Grundgesetzes, die mit der Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK übereinstimmt, wird danach durch jede gerichtliche Schuldfeststellung oder Zuweisung, die in der Entscheidung enthalten ist, verletzt. Es kann und muss sich dabei nicht um eine finale Schuldzuweisung im Rahmen einer Verurteilung handeln, was im Rahmen eines Beschlusses über eine Verfahrenseinstellung ja überhaupt nicht möglich ist und von Gesetzeswegen überhaupt nicht in Frage kommen kann. Im Rahmen der hier zur Prüfung anstehenden Verletzung der Unschuldsvermutung der Konvention kommt es nur darauf an, ob das die Einstellung vornehmende Gericht sich selbst mit der Schuldfrage beschäftigt hat und sich den Schuldspruch des Urteils vom 12.5.2011 aufgrund eigener Überprüfung zu Eigen gemacht hat. Ist dies der Fall, ist von einer Verletzung des Art. 6 Abs. 2 EMRK auszugehen. Nur für den Fall, dass das die Einstellung vornehmende Gericht den Schuldspruch des Urteils vom 12.5.2011 lediglich als Indiz für einen bestehenden Verdacht ansieht und keine Umstände erkennbar sind, die diese Verdachtslage erschüttern können, kann das Gericht ohne Verletzung der Unschuldsvermutung eine Ermessensentscheidung im Sinne des § 467 Abs. 3, Abs. 4 StPO fällen.

Es kommt hinzu, dass geradezu offensichtlich ist, dass die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes in Sachen Nölkenbockhoff gegen Deutschland unhaltbar ist. Die Kommission hatte damals völlig zu Recht den Antrag gestellt, die Verletzung des Art. 6 Abs. 2 EMRK festzustellen. Es war unhaltbar, die Prognose des LG Essen sowie des OLG Hamm in die Beschreibung einer bloßen Verdachtslage umzufunktionieren, da sowohl LG Essen als auch OLG Hamm an keiner Stelle ihrer Beschlüsse von einer Verdachtslage gegen Nölkenbockhoff ausgegangen sind, vielmehr dessen Verurteilung und dessen Scheitern in der Revisionsinstanz als „annähend sicher zu erwarten“ bezeichnet haben.

f.) Die 5. Sektion des Europäischen Gerichtshofes verkennt ganz offensichtlich, dass selbst dann, wenn man die Entscheidung desEuropäischen Gerichtshofes in der Sache Nölkenbockhoff gegen Deutschland für richtig hält, der hier angegriffene Beschluss weder das Wort Verdachtslage noch die Worte annähernd sicher oder sonstige Einschränkungen enthält. Ganz im Gegenteil. Es heißt hier:

Der Schuldspruch beruhte auf einer ausführlichen Beweiswürdigung zu den Tatsachenfeststellungen und einer Erörterung sämtlicher maßgeblicher Rechtserwägungen.

Damit wird der Schuldspruch zementiert. Die Verwendung der Worte „ohne abschließende Schuldzuweisung“ kann nicht bedeuten, dass die vorher gemachten Ausführungen im Nachhinein und rückwirkend als bloße Beschreibung einer bestehenden Verdachtslage zu interpretieren sind. Vielmehr  wird durch die Verwendung der Worte „ohne abschließende Schuldzuweisung“ geradezu die sichere Überzeugung der entscheidenden Richter von der Schuld des Angeklagten ausdrücklich betont und bedauert, dass diese Schuldzuweisung nicht mehr rechtskräftig werden konnte, weil der Verteidiger das Verfahren sabotiert habe.

Die 5. Sektion des Europäischen Gerichtshofes behauptet auf Seite 10 in Randziffer 41:

This view ist supportet by the Regional Court´s explicit statemend that the decision regarding necessary expenses was taken “in the absence of a conclusive findling of guilt” (see paragraph 9 above).

Diese Behauptung der 5. Sektion leitet die Kammer aus dem obiter dictum des OLG München im Beschluss vom 4.10.2012 ab. Das OLG leitet wiederum sein obiter dictum aus der Formulierung des Beschlusses des LG vom 5.4.2012 ab, worin es heißt:

Die Entscheidung ergehe „ohne abschließende Schuldzuweisung“.

Es ist ein Verstoß gegen die juristischen Denkgesetzte, die Entscheidung des LG durch das obiter dictum des OLG München, welches die Beschwerde ausdrücklich als unzulässig verworfen hat und damit den Rechtsweg versperrt, hat zu ergänzen und aus der Ansicht des OLG in diesem obiter dictum dem LG zu unterstellen, es habe keine Schuldzuweisung vorgenommen.

Das OLG sieht sich nämlich zwingend gehalten, die Behauptung aufzustellen, dass gegen den verstorbenen Angeklagten im Zeitpunkt der Verfahrenseinstellung ein

T a t v e r d a c h t

bestand und dieser Tatverdacht die Anwendung des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO zulasse. Erst das obiter dictum des OLG führt erstmals den Begriff des Tatverdachtes ein, der weder bei der Entscheidung des OLG über die Versperrung des Rechtsweges noch bei der Entscheidung des LG an irgendeiner Stelle vorkommt. Es fehlt in der Entscheidung des LG vollständig die von der 5. Kammer selbst formulierte und zwingende und unverzichtbare Bedingung der

description of a „state of suspicion“.

Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass die Schwurgerichtskammer bei der Beschlussfassung am 5.4.2012 nicht mit den Richtern des Urteils vom 12.5.2011 besetzt war, sondern in einer anderen Besetzung den Beschluss gefasst hat.

Die Auffassung, dass der Schuldspruch auf einer ausführlichen Beweiswürdigung zu den Tatsachenfeststellungen und einer Erörterung sämtlicher maßgeblicher Rechtserwägungen beruhte, beruht ihrerseits zwingend auf einer eigenen eigenständigen  neuen Überprüfung des gesamten Verfahrens durch die Richter Lenz, Wölfel und Venneberg, mithin durch die Kammer in anderer Besetzung als der Besetzung vom 12.5.2011. Mit dem Beschluss vom 5.4.2012 gestehen die Richter, sich mit dem Schuldspruch des Urteils vom 12.5.2011 umfassend beschäftigt zu haben und diesen überprüft zu haben. Bei dieser Überprüfung wollen sie festgestellt haben, dass der Schuldspruch sowohl auf einer ausführlichen Beweiswürdigung zu den Tatsachenfeststellungen als auch auf einer Erörterung sämtlicher maßgeblicher Rechtserwägungen beruht, mithin richtig ist. Mit der Formulierung im Beschluss vom 5.4.2012 bekundet somit die Kammer in anderer richterlicher Besetzung die materielle und juristische Richtigkeit des Schuldspruches aus dem Urteil vom 12.5.2011 und macht sich den Schuldspruch selbst zu Eigen. Sie betont ausdrücklich, dass sie den Schuldspruch nicht nur als historisches Faktum übernimmt, sondern es wird ausdrücklich betont, dass eine eigene juristische Überprüfung stattgefunden hat, nämlich die Untersuchung, ob der Schuldspruch auf einer ausführlichen Beweiswürdigung zu den Tatsachenfeststellungen und auf einer Erörterung sämtlicher maßgeblicher Rechtserwägungen beruht. Dabei stellt die Kammer sowohl die Richtigkeit und Vollständigkeit der Beweiswürdigung fest als auch die vollständige Erörterung sämtlicher maßgeblicher Rechtserwägungen und macht sich diese nach Überprüfung zu Eigen.

Die Konsequenz ist ein zentraler und nachhaltiger Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 GG durch das LG München in der Entscheidung vom 5.4.2012. Das LG München war weder gesetzlich autorisiert noch zuständig dafür noch ohne den Angeklagten in der Lage, die von ihm vorgenommene materiell rechtliche Überprüfung des Schuldspruches durchzuführen und den Schuldspruch des Urteils vom 12.5.2011 zu bestätigen. Art. 6 Abs. 2 EMRK verbietet schlechthin nicht nur eine abschließende Schuldzuweisung, sondern auch jegliche eigene Überprüfung und Bestätigung der Richtigkeit oder Unrichtigkeit des Schuldspruches. Die 5. Sektion des Europäischen Gerichtshofes verkennt vollständig diesen Schutzbereich des Art.6 Abs. 2 EMRK und ignoriert ihn. Art. 6 Abs. 2 schützt nicht nur vor der Finalität eines Schuldspruches ohne Hauptverhandlung, Art. 6 Abs. 2 schützt generell vor der Überprüfung und Bestätigung eines Schuldspruches durch ein unzuständiges Gericht sowie vor der Identifikation eines Gerichtes mit einem von einem anderen Gericht oder dem Gericht  in anderer Besetzung gefällten Schuldspruches, ohne dass es auf die Finalität der Verurteilung ankommt.

g.) Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr deshalb, weil das LG und seine Richter genau wussten, dass die Entscheidung vom 5.4.2012 die letzte Entscheidung war, die in dem Strafverfahren Demjanjuk überhaupt ergehen konnte. Machte sich somit in dieser Entscheidung das LG den Schuldspruch des Urteils vom 12.5.2011 nach eigener bekundeter Überprüfung und eigener Überzeugung zu Eigen und zur Begründung seiner Entscheidung, war zwar die Verurteilung nicht rechtskräftig, wirkte aber die Überprüfung, Bestätigung und Verstärkung des Schuldspruches durch die Entscheidung des LG vom 5.4.2012 in der Öffentlichkeit genauso wie ein rechtskräftiges Schuldspruch.

h.) Das vorstehende Ergebnis wird bestätigt durch die weitere Begründung des landgerichtlichen Beschlusses. Das LG überprüft nämlich die Frage, warum der nach seiner eigenen Prüfung, Überzeugung und Bestätigung zu Recht bestehende Schuldspruch gegen den verstorbenen Angeklagten nicht durch die Revisionsinstanz überprüft und bestätigt wurde. Schuld daran, so das LG, war ausschließlich und allein der Verteidiger und dessen Verteidigungsstrategie, die das LG als „Verfahrenssabotage“ brandmarkt.

Der Gebrauch der Worte „ohne abschließende Schuldzuweisung“ ist weder für sich noch im Gesamtkontext des Beschlusses als Hinweis auf einen „State ob suspicion“ zu verstehen, sondern als Verhinderung der nach Auffassung des LG nach eigener Überprüfung berechtigten und zutreffenden Schuldzuweisung des Urteils vom 12.5.2011 durch den Verteidiger.

Die Richtigkeit dieser Auffassung wird durch den Hintergrund des Prozesses gegen John Demjanjuk belegt. Von den rund 5.000 Trawniki Männern, die unter der Naziherrschaft rekrutiert wurden, wurde John Demjanjuk mehr als 70 Jahre nach dem Kriege unzulässig nach Deutschland deportiert und angeklagt, sich die Naziideologie zu Eigen gemacht zu haben und freiwillig und bereitwillig sich am Massenmord des deutschen Mörderstaates durch Beihilfe beteiligt zu haben. Es war bis dahin Rechtsüberzeugung in ganz Deutschland, dass Trawnikis, auch wenn sie in Vernichtungslagern gedient hatten, generell unschuldig waren, es sei denn, sie hätten von sich aus in den Vernichtungslagern Exzesstaten verübt. Die Unschuld wurde aus der historischen Tatsache und Wahrheit hergeleitet, dass die Trawniki aus den Kriegsgefangenenlagern der Nazis rekrutiert wurden, in denen die Angehörigen der Roten Armee gefangen gehalten wurden und systematisch durch Hunger bzw. Naziterror bzw. Vergasung ermordet wurden.

Jedermann hielt in der Bundesrepublik Trawnikis zugute, dass sie nicht freiwillig Dienst in den Vernichtungslagern geleistet und unter ständigem Befehlsnotstand mit Lebensgefahr gestanden hätten. Eine Flucht sei ihnen weder zumutbar noch möglich gewesen.

Das höchste israelische Gericht hatte im Prozess gegen Demjanjuk bereits angenommen, Demjanjuk habe in Sobibor im dortigen Vernichtungslager als Wachmann gedient, hatte jedoch darauf hingewiesen, dass Demjanjuk deswegen nicht verurteilt werden könne. Man habe nämlich kein Wissen und keine Fakten, wann er genau zu welchen Zeiten bei Ankunft von jüdischen Opfern im Lager gewesen sei und dort Wachdienst verrichtet hätte und wann nicht. Während der Zeit, in der er nach seinem Dienstausweis in Sobibor gewesen sei, habe es oft Abordnungen von Trawniki an andere Orte gegeben, so dass es schlechthin  unmöglich sei, ihn zu verurteilen. Dasselbst gelte, weil man gar nicht wisse, was Demjanjuk in dem Vernichtungslager an Diensten verrichtet habe.

Damit steht fest, dass jedermann in der Bundesrepublik wusste, dass Demjanjuk unschuldig war und nicht verurteilt werden durfte. Das wussten auch die Initiatoren des Prozesses gegen Demjanjuk, deren politisches Anliegen es jedoch war, Deutschland auf dem Wege zur Führungsmacht Europas trotz der Gräueltaten der Nazis wieder salonfähig zu machen. Man glaubte, dies dadurch erreichen zu können, dass man die deutsche Alleinschuld am Holocaust und am Judenmord relativierte und den Holocaust und seine Verantwortung dafür europäisierte. Man wollte weitere europäische Nationen als Kollaborateure des Naziterrors neben Deutschland stellen und somit zu einer milderen Beurteilung der deutschen Nazigräuel kommen.

Das Verfahren vor dem LG München mit dem Schuldspruch vom 12.5.2011 war ein politischer Prozess, der das politisch gewollte und erhoffte Ergebnis brachte. Es ging bei der Einstellung ausschließlich darum, den Schuldspruch zu verteidigen und über die Revision hinaus und an der Revision vorbei zu retten. Der Bundesgerichtshof hätte keine andere Wahl gehabt, als den Angeklagten freizusprechen. Mit der Entscheidung des LG München vom 5.4.2012 wurde der letzte und letztmögliche Versuch unternommen, Trawnikis und damit eine Vielzahl europäischer Nationen als Kollaborateure der Nazis darzustellen und sie mitverantwortlich für den Judenmord zu machen. Im Angesicht der historischen Wahrheit, dass Deutschland die Alleinschuld an den unvorstellbaren Verbrechen der Nazis trägt, muss diesem deutschen Versuch resolut durch den Europäischen Gerichtshof entgegengetreten werden.

j.) Geradezu offensichtlich ist, dass sich im Beschluss vom 5.4.2012 keineswegs die von der 5. Sektion behaupteten unglücklichen Formulierungen befinden. Vielmehr hat das Gericht ganz gezielt unwahr über den Prozessverlauf berichtet. Dieser hat sich, wie allgemein bekannt, so in die Länge gezogen, weil maximal pro Woche an zwei oder drei Verhandlungstagen für jeweils 90 Minuten  vormittags und nachmittags verhandelt werden durfte. Der Angeklagte wäre bei längerer Verfahrensdauer absolut verhandlungsunfähig gewesen. Schon deshalb kam es zu wochenlangen Verzögerungen des Prozessgeschehens. Zahlreiche Verhandlungstage fielen aus, weil der Angeklagte an den angesetzten Verhandlungstagen so niedrige Blutwerte hatte, dass er in einer Art Dämmerzustand an der Verhandlung gar nicht teilnehmen konnte, ihm vielmehr im Krankenhaus Blutinfusionen gegeben werden mussten.

Gegen den seit Jahren an einer todbringenden Krankheit leidenden Angeklagten durfte gar nicht verhandelt werden. Es war so gut wie sicher, dass dieser den Prozess nicht überleben würde und jederzeit mit seinem Tode zu rechnen war. Es wurde daher landauf landab von einem Wettrennen des Gerichtes mit der Zeit gesprochen. Der Tod des Angeklagten und ein Platzen des Prozesses vor Rechtskraft waren so gut wie sicher. Ein Prozess durfte unter diesen Umständen überhaupt nicht stattfinden, jedoch sollte gegen den Angeklagten unbedingt ein Exempel statuiert und Deutschland von der Alleinschuld am Judenmord exkulpiert werden. Dafür war Demjanjuk das ersehnte und missbrauchte Instrument unter Schaffung eines kompletten Zerrbildes der historischen Wahrheit über die Alleinschuld Deutschlands am Judenmord. Hinzu kam, dass dem Angeklagten sämtliche Urkunden, die wochenlang verlesen wurden, in die ukrainische Sprache übersetzt und verlesen werden mussten, so dass die Behauptung, der Verteidiger habe die Rechtskraft der Verurteilung verhindert, in hohem Maße objektiv unwahr ist.

Es bleibt darauf hinzuweisen, dass es sicherlich eine Demütigung der Verfahrensbeteiligten ist, dass sie die Entscheidung der 5. Sektion vom 24.1.2019 aus der Presse und nicht vom Gericht erfahren mussten.

k.) Zusammengefasst ist auf Folgendes hinzuweisen:

Die Unschuldsvermutung des Art. 6 EMRK wird durch die Entscheidung der 5. Sektion so aufgeweicht, dass sie ihren Charakter als fundamentales und unverzichtbares Menschenrecht verliert. Die 5. Sektion erlaubt den Gerichten sogar die Sperrung des Rechtsweges zu den Gerichten und sieht darin nur einen theoretischen Verstoß gegen Art. 6 EMRK. Selbst die Äußerung der Überzeugung von der Schuld des Angeklagten nach eigener Überprüfung und ausdrücklicher Bejahung eines erstinstanzlichen Schuldspruches führt nach der Entscheidung der 5. Sektion nicht zu einem Verstoß gegen Art. 6 EMRK, solange und soweit das einstellende Gericht seine Entscheidung mit dem formellen Zusatz versieht, dass das erstinstanzliche Urteil nicht rechtskräftig geworden sei. Es wird dann dem einstellenden Gericht einfach unterstellt, es habe lediglich eine Verdachtslage beschreiben wollen, im Übrigen seien seine Ausführungen nur als unglücklich einzustufen. Die Auffassung der 5. Sektion führt somit zu einer umfassenden Aushebelung des Art. 6 EMRK und öffnet den Gerichten Tür und Tor zur unzulässigen und illegalen Beschäftigung mit der Schuldfrage unter Ausschluss der zwingend vorgeschriebenen Mitwirkung des Angeklagten. Damit wird Art. 6 EMRK, der unter den Menschenrechten Leuchtturmwirkung hat, zur Bedeutungslosigkeit herabgestuft.

Mit freundlichen Grüßen


Dr. Ulrich Busch
Rechtsanwalt

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